Gesellschaft im Kleinen

Heute startet in Kiel die Deutschland-Tour der „Sam Ragga Band“ aus Hamburg. Warum Jan Delay nicht mehr dabei ist und warum sie stattdessen mit Nena spielen, erklärt die Band mit einer Vergangenheit und Zukunft im Interview

Interview: Eberhard Spohd

Ursprünglich als Begleitband für die Reggae-Ambitionen des Rappers Jan Delay von den Beginnern gegründet, hat sich die Sam Ragga Band zur eigenständigen Gruppe mit fester Formation entwickelt. Ende August erschien ihr zweites Album The Sound of Sam Ragga, jetzt geht das Oktett auf Deutschlandtour. Im Interview sprechen der Gitarrist Marc Wilkes und der Percussionist Detlef von Boetticher über Vergangenheit und Zukunft der Band.

taz: Zwei Personalien können wir vorweg abhandeln, damit wir das hinter uns haben. Der Name Jan Delay taucht nicht mehr auf, dafür habt ihr die Single „Schade“ mit Nena gemacht.

Marc Wilkes: Wir haben Sam Ragga auf eigene Beine gestellt, um unseren Vorstellungen nachzugehen. Dass Jan ein wichtiger Bestandteil unserer Entwicklung gewesen ist, ist eine Geschichte. Schon ab der letzten Tour waren wir in der heutigen Besetzung unterwegs.

Detlef von Boetticher: Es ist einfach unser Weg: Erst die Begleitung für Jan Delay, dann das erste Album, jetzt The Sound of Sam Ragga. Das spiegelt unsere musikalische Entwicklung ganz gut wieder.

Marc Wilkes: Und um auf Nena zu kommen: Unser A&R hat ihr mal einen Stapel CDs gegeben, da war unser erstes Album dabei. Und das hat sie gehört und wollte gerne etwas mit uns machen. Da haben wir ihr einen Track geschickt.

Damit ist das geklärt. Ich war von eurer neuen Platte angenehm überrascht. Die erste war leider relativ langweilig, die zweite ist viel besser und eigenständiger.

Detlef von Boetticher: Das finde ich auch.

Woran liegt das?

Marc Wilkes: Wir sind weggegangen vom HipHop und haben uns stärker zum Gesang orientiert. Und wir arbeiten mit Leuten zusammen, die besser zu uns passen. Dadurch ist die gesamte Konstellation musikalisch wesentlich dichter.

Was heißt das?

Marc Wilkes: Wir haben auf unserer Tour eine endgültige, feste Zusammensetzung gefunden. Die Arbeitsweise hat sich nicht so sehr verändert, außer dass die Sänger früher in den Prozess integriert waren. Die Platte ist relativ unabhängig. Ich würde auch den Reggae-Kontext fast verneinen, auch wenn das rhythmisch immer noch der Ursprung ist. Von da aus arbeiten wir. Aber unsere ganzen Einflüsse und Biographien sind darin aufgegangen.

Fühlt ihr euch auch als politische Band?

Marc Wilkes: Auf jeden Fall. Aber trotzdem behalten wir uns die Möglichkeit vor, ein schlichtes Liebeslied zu machen. Das eine schließt das andere nicht aus. Alle Künstler, die sich selber ernst nehmen, haben einen bestimmten Blick auf das, was passiert. Bei unserem Sänger Seanie T. merkt man zum Beispiel ganz deutlich, dass er sich mit dem alltäglich vorhandenen Rassismus auseinander setzt, den er in England als Schwarzer in einer dominiert weißen Gesellschaft täglich zu spüren bekommt. Andere Stücke handeln von den so genannten demokratischen Regierungen, die sich immer mehr einen Dreck dafür interessieren, was die Bevölkerung sagt.

Wie vermeidet man denn das „One love, one world“-Klischee, dass im Reggae oft so bestimmend ist?

Marc Wilkes: Die Frage ist, ob man sich wirklich daran orientiert. Bei uns sitzen auch schwarz und weiß an einem Tisch, und da gibt es Unterschiede. Wenn du aus der Karibik, aus einem schwarzen Umfeld kommst, bist du anders geprägt als wir hier. Die Frage ist doch aber: Was bedeuten diese Unterschiede? Sind sie eine Abgrenzung oder eine Bereicherung? Es ist wie bei der Musik: Ich will unterschiedliche Sachen hören und ich will unterschiedliche Haltungen vermittelt bekommen.

Detlef von Boetticher: Dafür braucht es eine gewisse Toleranz. Wir diskutieren häufig auch kontrovers. Wir sitzen mit acht Leuten an einem Tisch. Da können wir nicht bei allem bis ins Letzte den Konsens suchen. Im Grunde genommen ist es eine Gesellschaft im Kleinen.

Ihr habt selbst einmal gesagt: „Wir wollen auch außerhalb Deutschlands mehr machen. Die Chancen stehen dafür ganz gut. Mittlerweile betrachten wir uns ohnehin als Europäer.“ Wo verläuft da die Grenze zwischen eigenem Anspruch, kommerzieller Vermarktung und Auslandsveröffentlichungen?

Marc Wilkes: Die Vermarktung muss angeschoben werden. Wir haben ein Management, das international aufgestellt ist, wodurch sich neue Möglichkeiten ergeben. Auf der anderen Seite ist Europa inzwischen Realität. Seanie lebt in London und muss hierher kommen, um mit uns zu spielen. Wir sind auch gerne in England. Jessica ist häufig in Frankreich, um einen Teil ihrer Familie zu besuchen. Es geht dabei gar nicht darum, internationaler Superstar zu werden. Wir sind nach Österreich und in die Schweiz gefahren, jetzt wollen wir auch einmal nach Helsinki.

Das heißt, Ihr wollt auch Geld verdienen und von der Musik leben können, gleichzeitig aber auch Finnland kennen lernen.

Marc Wilkes: Das Geldverdienen ist notwendig, um den Freiraum zu haben, sich hundertprozentig auf die Musik konzentrieren zu können. Für mich persönlich ist kommerzieller Erfolg nur unter diesem Aspekt wichtig. Aber auch wenn wir nur 100 Platten verkaufen, würde ich trotzdem versuchen, die nächste zu machen.

Heute, 7.10., Kiel, Max; Morgen, 8.10., Wilhelmshaven, Pumpwerk; 9.10., Lingen, Alter Schlachthof; 10.10., Leer, Zollhaus; 22.10., Hannover, Faust