Erste Schritte auf den Salzwiesen

Die Osterlämmer von den Nordseedeichen sind eine besondere Spezialität – und dazu zu Lebzeiten aktive Landschaftsschützer. Auf dem heimischen Markt haben sie es dennoch schwer gegen die günstigere Konkurrenz, die aus Neuseeland kommt

VON ESTHER GEISSLINGER

Blauer Himmel und grüne Deiche, übertupft mit weißen Schafen – die Nordseeküste sieht in diesen Wochen aus wie ihre eigene Postkartenversion. Vor allem wegen der Lämmer, die über die Wiesen hüpfen und nur aus staksigen Beinen, großen Augen und neugierigen Näschen zu bestehen scheinen. Ein Schurke, wer bei diesem Anblick gleich den Braten mitdenkt. Ein Feinschmecker, wer es klammheimlich doch tut. Denn die Deichschafe sind eine besondere Delikatesse: Das Fleisch der „Salzwiesenlämmer“ ist mager und fein.

So richtig knuffig-putzig bleiben die Tiere etwa drei Wochen, danach verwandeln sie sich in kleine Abbilder ihrer meist mürrisch dreinblickenden Mütter. Mit rund 45 Kilo haben sie die Schlachtreife erreicht. Lämmer, die im Januar oder Februar geboren wurden, können Ostern bereits in den Öfen liegen – allerdings nicht unbedingt in deutschen. Viele werden exportiert.

Ein Kilo Lamm verzehrt jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr, die Hälfte davon stammt aus dem Ausland, vor allem aus Neuseeland, sagt Stefan Voell, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Deutsches Lammfleisch in Berlin. Voell wirbt dafür, mehr einheimische Ware zu kaufen, aber er weiß auch, dass oft der Preis entscheidet.

Dass die Schafzucht kein Idyll ist, weiß Ann-Christin Thomsen genau. Die 29-Jährige hat im vergangenen Jahr die „Schäferei Willi Hinz“ von ihren Eltern Ursula und Willi Hinz übernommen. Thomsen führt den Betrieb in vierter Generation. Die Schäferei liegt im Dörfchen Westerhever auf der nordfriesischen Halbinsel Eiderstedt. Ihre 1.200 Mutterschafe und jährlich rund 2.000 Lämmer weiden auf dem Deich und den Wiesen rund um den Leuchtturm. Klingt einfach, bedeutet aber Arbeit das ganze Jahr hindurch: Täglich fährt Willi Hinz die Deiche ab und schaut, ob alle Tiere wohlauf sind. Bei stürmischem Wetter müssen die Schafe von der Küste weggetrieben werden. „Der kann nicht ohne Schafe“, sagt seine Tochter.

Hauptsaison ist die Lammzeit im Frühjahr, aber auch im Herbst und Winter gibt es viel zu tun. Dann weiden die Schafe auf geschützten Wiesen an der Ostküste, müssen aber alle paar Tage auf andere Flächen gebracht werden. Früher trieben die Schäfer zu Fuß, heute kutschieren sie die Tiere im Hänger – unter anderem deshalb stellten die neuseeländischen Züchter eine Ökobilanz auf, die für ihr Fleisch trotz des langen Transports günstiger ausfällt. „Eine Milchmädchenrechnung“, findet Stefan Voell: „Unsere Tiere schützen die Landschaft.“ Die Schafe treten das Gras an den Deichen fest und fressen es ab, damit es dem Wind wenig Angriffsfläche bietet.

Die Schäferei Hinz hat vor einigen Jahren mit der Direktvermarktung begonnen. Anfangs mussten die Schäfer gegen das schlechte Image arbeiten – viele Verbraucher dachten bei Schaf an das streng schmeckende Hammelfleisch. Allmählich setzt sich aber durch, dass Lamm eine feine Sache ist, und inzwischen gibt es auch Lammsalami, Leberwurst oder Aufschnitt – zumindest in den Hofläden, die den Schäfereien angeschlossen sind.

In vielen Schlachtereien ist deutsches Lamm aber nicht zu bekommen. „Die Fleischer machen es sich einfach“, kritisiert Stefan Voell. Statt ganze Tiere von den regionalen Erzeugern zu kaufen, würden auf dem Großmarkt die Keulen oder Rücken besorgt, meist Fleisch aus Neuseeland. „Wer regionale Produkte möchte, sollte gezielt nachfragen“, so Voell. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, direkt vom Schäfer zu kaufen. Viele Züchter vermarkten ihre Ware nicht nur im Hofladen selbst, sondern liefern sogar ins Haus.

„Oder man verbindet den Kauf mit einem Familienausflug zu einem Hof“, empfiehlt Voell. Das setzt allerdings starke Nerven voraus: Lebendige Lämmchen gucken, geschlachtete gleich mitnehmen mag für manche Leute hart sein. Schäferei-Chefin Ann-Christin Thomsen hat als Kind zwei Jahre kein Fleisch gegessen, nach dem ein von ihr aufgezogenes „Handlamm“ den Weg in die Schlachterei antrat. Heute achtet sie darauf, dass sie die von ihren Müttern verstoßenen Tierchen gleich einem anderen Schaf unterschiebt. Denn wenn es nur wenige Handlämmer gibt, macht das den Abschied leichter.