Schwerlast bringt Schwermut

Ein Radwechsel birgt soziales Risiko: Er kann Anerkennung oder Ausgrenzung zur Folge haben

Den Bogen nicht überspannen: Neue Wege einschlagen ist das eine, partout nicht Auto fahren, das andere

Das Büfett der Eitelkeiten ist lang und reichhaltig gefüllt. Ob bitter oder süß, ob herzhaft oder seicht: Für jeden ist etwas dabei. Doch Obacht: Was man auch nimmt, der Nachbar sieht alles – und hat seine eigene Meinung.

Das Fahrradfahren macht dabei keine Ausnahme: Welches Rad man kauft und wie man damit fährt, wird genau registriert und endet stets in einem vorschnell gefällten, subjektiven und hartnäckigen (Vor-)Urteil. Radfahren ist also kein Selbstzweck, sondern verselbstständigt sich zur unfreiwilligen Selbstdarstellung. Je exotischer ein Fahrradtyp ist, desto mehr.

Manchem Radler dient ein skurriles Rad als stellvertretende Persönlichkeitskonstruktion, es soll Risse im Selbstverständnis und Selbstwertgefühl kitten. Das kann eine ganze Radgattung stigmatisieren.

Das Liegerad ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Übergänge zwischen Freund, Freak und Fanatiker fließend sind und selbst interessierte Menschen sich von ihm abwenden – aus Angst, in die falsche Schublade gesteckt zu werden.

Das Transportrad hat da glücklicherweise einen besseren Stand: Zeugt es doch von verkehrspolitischer Cleverness, außerdem kommt es zunehmend in modern-cooler Optik daher. So kann man vor dem Supermarkt und auf dem Wochenmarkt punkten und tut, was man ohnehin tun wollte: Rad fahren. Doch man darf den Bogen nicht überspannen! Neue Wege einschlagen ist das eine, sie partout nicht mit dem Auto zu fahren, das andere.

Bereits vor dem Kindergarten habe ich Kopfschütteln und böse Blicke anderer Eltern erlebt, als ich meine Söhne auf dem sofagroßen Gepäckträger des „Mundo“-Transportrads chauffierte. Selbst in diesem LOHAS-Sektor gibt es feste Vorstellungen, womit und wie man seinen Nachwuchs zu transportieren hat. Anhänger und Auto sind gesetzt, Transporträder offenbar noch nicht.

Krönender Höhepunkt war der Einkauf beim Baustoffhändler. Das Familienauto war samt Gattin unterwegs. Wie gut, dass das „Mundo“ noch auf dem Hof stand. Flugs ein paar Gurte eingepackt und los! An der Theke des Händlers hieß es dann: „Fahren Sie an die Lkw-Rampe, oder sind Sie mit dem Pkw da?“ – „Mit dem Fahrrad“, entglitt es mir in einer Tonlage, die sich nicht entscheiden konnte, ob ich mein Verhalten clever oder bescheuert finde. Sie mischte Stolz mit dem Bewusstsein, aus der Norm zu fallen und völlig abwegig zu handeln.

Diese Ambivalenz teilte mein Gegenüber nicht, er schüttelte den Kopf und ging, die Dinge zum Personeneingang zu bringen. Ich verzurrte zwei Rollen Dammwolle und einige vier Meter lange (!) Latten, dann machte ich mich auf den Heimweg: Oder sollte ich nicht präziser von einem Spießrutenlauf sprechen?

Auf der einen Seite die Bedenkenträger, die stets bereitwillig die Hupe nutzen, den teuren Finger zeigen und verkehrspädagogisch akkurat abdrängen. Auf der anderen Seite die Lacher, ihnen nötigt das Unerwartete keine Aggressionen ab. Aber sie demütigen es durch unverhohlenes Lachen. Zuspruch für Schwerlast-Bautransporte mit dem Rad gibt es nicht. Ganz anders, wenn man mit dem Lastenrad beim Getränkemarkt für einen Grillabend einkauft. Kastenweise Limonade, Cola und Bier auf dem Rad sind gut fürs Kollektivgemüt.

Die spontane Euphorie eines Penners ließ mich sogar anhalten und mit dem Berber ein Radlaster-Bier auf der Parkbank trinken. Wenigstens bei den Getränken am Büfett herrscht Einigkeit.

GUNNAR FEHLAU