türkei & eu
: Weltpolitik braucht Mut

Die EU-Kommission hat den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union empfohlen, Beitrittsgespräche mit der Republik Türkei aufzunehmen. Das ist eine richtige und gute Entscheidung. Noch besser wäre, wenn mit dem „Ja“ ein etwas weniger großes „Aber“ verbunden wäre.

KOMMENTAR VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

Sicher, Politik ist immer nur die Durchsetzung des Möglichen angesichts des Wünschenswerten. Der EU-Beitritt der Türkei ist innerhalb Europas so umstritten wie kein anderer zuvor. Und tatsächlich sind mit einem zunächst armen, wirtschaftlich wenig entwickelten und großen Land wie der Türkei mehr Risiken verbunden als bei entwickelteren, reicheren, kleineren Ländern. Es ist eben ein Unterschied, ob man einen Kiesel in einen Teich wirft oder einen Felsen, wie gestern auch der türkische Regierungssprecher der EU-Kommission zugestand.

Doch wer Weltpolitik machen will, braucht dafür mehr Mut, als für die Stadtsanierung von Görlitz vonnöten ist. Der Fall der Mauer und die Öffnung Osteuropas waren nicht Ergebnisse einer gelungenen europäischen Außenpolitik. Die EU hat lediglich eingesammelt, was der Sowjetimperialismus nicht mehr festhalten konnte. Das war nicht wenig – aber es wurde nur noch nachvollzogen, was woanders entschieden worden war.

Die Einbindung der Türkei ist dagegen aktive EU-Außenpolitik. Sie fällt der Gemeinschaft nicht irgendwie zu, sondern muss betrieben und gewollt werden. Die Integration der Türkei nach Europa ist das größte Projekt der Gemeinschaft überhaupt. Dazu gehören Politiker, die Mut haben. Aus einer Haltung, die Entscheidungen aus Angst vor deren Konsequenzen nicht treffen will, kann schwerlich eine überzeugende Politik resultieren.

Mit dem gestern von der Kommission vorgegebenen Kurs läuft die EU Gefahr, aus Mangel an Mut einen möglichen historischen Erfolg zu verspielen. Man kann den schwierigen Prozess der Integration der Türkei nur bewältigen, wenn man ihn wirklich will. Das muss die Politik deutlich machen.

Der kommende EU-Gipfel im Dezember muss ein klares Signal setzen. Schon um in den nächsten Jahren sehr klar und deutlich auf der Fortsetzung und Umsetzung demokratischer Reformen in der Türkei bestehen zu können, müssen die Staatschefs der Gemeinschaft klar sagen, dass sie die Türken dabeihaben wollen. Nur dann hat die EU die Legitimation, die türkische Politik immer wieder mit neuen Forderungen zu konfrontieren.