Zum Gemeinwohl gezwungen

Mit den neuen „Zusatzjobs“ wirft Hartz IV in Köln seine Schatten voraus. Gemeinnützige Institutionen sollen von der Erfindung der Arbeitsagentur profitieren. Nicht alle sozialen Träger sind begeistert

Von Susanne Gannott
und Jürgen Schön

Die Initiative der Kölner Agentur für Arbeit (AA) und des Sozialamts, sofort 300 „1-Euro-Jobs“ für Arbeitslosenhilfebezieher einzurichten, stößt bei sozialen Institutionen auf ein geteiltes Echo. So ist die Arbeiterwohlfahrt (AWO) begeistert und will selbst 72 solcher Arbeitsgelegenheiten schaffen. Dagegen fühlt sich zum Beispiel die Obdachlosenstation „Gulliver“ von den „Zusatzjobs“ sogar in ihrer Existenz bedroht, wenn die Stadt im nächsten Jahr im Rahmen von Hartz IV 10.000 dieser Stellen schaffen will.

Noch kann Gulliver Menschen durch das Programm „Hilfe zur Arbeit“ auf eine regelmäßige Arbeit vorbereiten. Bezahlt wird ein Lohn, der an die unteren Stufen des Bundesangestelltentarifs angelehnt ist. Dafür werden die Arbeitslosen in Cafetaria, Wäscherei und Rezeption von Gulliver eingesetzt. „Dieses Programm entfällt mit Hartz IV“, sagt Gulliver-Geschäftsführer Bernd Hicker. Auf erzwungener 1-Euro-Basis würde aber keiner bei Gulliver arbeiten wollen. Die Folge: Das Angebot müsste eingeschränkt, im schlimmsten Fall sogar eingestellt werden.

Stefan Kersjes, stellvertretender AWO-Geschäftsführer in Köln, glaubt dagegen an den Erfolg der „1-Euro-Jobs“: „Die Menschen werden wieder an einen 8-Stunden-Tag gewöhnt, können sich beruflich neu orientieren und sollen außerdem möglichst rasch in Arbeit vermittelt werden.“ Deshalb werde die AWO diverse Jobs „von der Küchenhilfe bis zur Verwaltung“ anbieten, erklärt er.

Auch Guido Hertling, Fachbereichsleiter für Personal beim Arbeiter Samariter Bund (ASB) in Köln, findet Zusatzjobs „prinzipiell interessant“. Nach ersten Erfahrungen ist er allerdings etwas skeptisch. Letzte Woche habe man fünf Gespräche mit potenziellen „Zusatzjobbern“ geführt, die die AA geschickt hatte. „Vier der fünf waren überhaupt nicht motiviert“, hätten seine Mitarbeiter festgestellt und die Bewerber gleich wieder weggeschickt.

Solche Erfahrungen hat Kersjes bislang nicht gemacht – im Gegenteil. Derzeit kämen permanent Anfragen von arbeitswilligen Arbeitslosen. Aber wie Hertling glaubt auch er, dass das „Zusatzjob“-Modell nur „auf freiwilliger Basis“ funktioniert. „Das Arbeitsamt hat doch ein Interesse daran, dass wir Stellen anbieten“, sagt er. Wenn die Wohlfahrtsträger schlechte Erfahrungen machten, weil die Arbeitsagentur unmotivierte Leute schickt, dann würde man sich aus dem Modell wieder zurückziehen.

Noch keine endgültige Meinung zu den 1-Euro-Jobs hat man sich beim „Vringstreff“ gebildet. „Wir sind auf solche Kräfte angewiesen“, heißt es, weil auch hier wie bei Gulliver durch „Hilfe zur Arbeit“ finanzierte Stellen entfallen. Und, so ein Mitarbeiter, „viele Menschen sind froh, überhaupt wieder arbeiten zu können“. Kein Thema sind diese Jobs bei der „Oase“, die schon in der Vergangenheit grundsätzlich nur auf Ehrenamtler gesetzt hat. Oase-Geschäftsführerin Rosemarie Herting: „Zwang zur Arbeit ist keine Lösung.“

Für Kölns AA-Chef Peter Welters geht es dagegen nicht ohne Zwang. „Noch wird niemand gezwungen, aber nächstes Jahr wird das anders“, kündigt er an. Wenn sich dann ein ALG-II-Bezieher „grundsätzlich weigert“ eine solche Arbeit anzunehmen, gebe es „knallharte Sanktionen“.

Da gibt sich Kölns Sozialdezernentin Marlis Bredehorst milder. „Keiner wird gezwungen“, sagt sie. Auch in der Vergangenheit sei es beim Kölner Modell, der Zusammenarbeit von Sozialamt und Arbeitsamt, „nur in Ausnahmen“ zu den gesetzlich möglichen Leistungskürzungen gekommen. Dass zuweilen „sanfter Druck“ ausgeübt wurde, um jemanden zur Annahme einer „Zusatzarbeitsgelegenheit“, sprich 1-Euro-Job, zu überreden, bestreitet sie nicht. Aber auch künftig müsse kein Ingenieur Angst haben, als Kehrmännchen im Park zu landen.

„Wir versuchen Jobs zu finden, die der Qualifikation entsprechen“, sagt sie und erzählt vom Versicherungskaufmann, der auf 1-Euro-Basis die Versicherungen eines Vereins überprüfte. Dieser habe daraufhin 2.000 Euro sparen können. Zudem seien die neuen 1-Euro-Jobs nach Hartz IV attraktiver, weil sie, anders als bislang, sozialversichert seien. Daneben soll auch das Programm „Hilfe zur Arbeit“ fortgeführt werden, beruhigt Bredehorst die besorgten Vereine. Doch eine Garantie gibt sie vorerst nur bis Mitte 2005.

Was bleibt, ist die Befürchtung, die neuen „Zusatzjobs“ würden den Abbau regulärer Arbeitsplätze befördern. Das soll natürlich nicht sein, sagt AA-Chef Welter. Derzeit erarbeite man einen „Qualitätsstandard“, dessen Einhaltung ein Beirat „stichprobenartig überprüfen wird“. Zu den Standards solle etwa gehören, dass die „Zusatzjobs dem Gemeinwohl verpflichtet sein müssen“ und die Arbeitslosen keine Aufgaben übernehmen, die bislang von regulär bezahlten Arbeitnehmern erledigt werden.

Dass so nächstes Jahr 10.000 Kölner Langzeitarbeitslose beschäftigt werden können, steht für Welters fest. „Es gibt viel Arbeit, die niemand mehr bezahlen kann“. So könnten etwa bislang geschlossene Kirchen wieder für Touristen öffnen, wenn ein Arbeitsloser sie bewacht und sauber hält. Auch Kölns Spielplätze und andere Orte könnten mehr „Sicherheit und Sauberkeit“ vertragen, findet er: „Da lassen sich viele Ideen entwickeln.“