Immer locker bleiben, Alter

Brutale Sprache und bedrohliches Auftreten von Jugendlichen stößt bei den meisten Erwachsenen auf Unverständnis und Angst

aus GanderkeseeInke Suhr

Mario Thieme steht im Trainingsanzug hinter den Plattentellern und zeigt Finessen des Hiphop-DJing. Vor ihm sitzen Sozialpädagogen und Lehrer, sie schreiben eifrig mit. „Hiphop besteht aus den vier Elementen Breakdance, Graffiti, Rappen und DJing“, doziert der Hiphop-Produzent und DJ aus Berlin. Auch die Geschichte des Hiphop wird behandelt. 1978, die Bronx: Gangleader Afrika Bambaataa gründet die Zulu Nation, deren Mitglieder sich nicht durch Gewalt, sondern im Wettkampf mit anderen Jugendlichen messen wollten. „Echte Hiphopper haben also traditionell eine große Klappe und leiden unter Profilierungssucht, aber sie sind nicht gewalttätig“, erklärt der DJ.

Der „Unterricht“ fand statt Anfang der Woche im Jugendhof Steinkimmen in Ganderkesee während der Fachtagung „Ganz normal bis voll schräg – Inszenierungen in Jugendkulturen“. Thieme ist Vertreter für Hiphop beim Berliner Projekt „Culture on the road“, das Jugendliche und Pädagogen über Hintergründe und Potenziale in Jugendszenen aufklären will, die vielen Betreuern Furcht einflößen.

„Vom Hoffnungsträger zum Sicherheitsrisiko“ habe sich das Bild der Jugendlichen gewandelt, bestätigt Klaus Farin vom Archiv der Jugendkulturen in Berlin. Über 80 Prozent der Medienberichterstattung über Jugendliche widme sich Drogenmissbrauch, Gewalt und Rechtsextremismus. Sogar Lehrer glaubten den Medien mehr als ihrer eigenen Wahrnehmung: Allerorten werde eine zunehmende Gewaltbereitschaft beklagt, dabei liege der Anteil gewaltbereiter Jugendlicher seit Jahren bei drei bis fünf Prozent.

Probleme bereitet den anwesenden Pädagogen vor allem die verrohte Sprache ihrer Schützlinge. Dass der Satz „Ey, Alter, ich habe eine Pussy am Start“ soviel heißen soll wie „ich habe mich verliebt“ und nicht in erster Linie Sexismus, sondern vor allem die Unfähigkeit der Jungs ausdrückt, ihre Gefühle zu artikulieren, ist schwer auszuhalten. Hiphop sei allerdings nie aus dem Getto herausgekommen, so Thieme, die Szene entsprechend jung und bildungsfremd. Er sieht auch sexistische und schwulenfeindliche Texte vieler Rapsongs als Symptom für den Zustand der Gesellschaft, nicht als Anstifter zur Diskriminierung. „Solche Stücke kommen in die Top Ten, sie sind absolut massenkompatibel“, gibt er zu bedenken. Jugendkulturen machten aufmerksam auf Missstände in der Gesellschaft, die angepackt werden müssten. „Wer mit der Musik nicht klar kommt, sollte sich erst mal erklären lassen, was die Jugendlichen daran gut finden – so kommt man ins Gespräch“, rät Thieme. Deshalb sollte beim einzelnen Jugendlichen auch nicht mit Verboten reagiert werden, mahnt Barbara Stauber aus Tübingen, die ihre Habilitation über Jugendszenen geschrieben hat. Die Abschottung der Jugendlichen diene der Bildung einer eigenen Sphäre, die selber gestaltet, kontrolliert und bestimmt werden kann.

Mit drastischer Sprache, schockierendem Körperkult wie Piercings und Tattoos, Drogenkonsum und wilden Parties schafften sich die Jugendlichen Handlungsspielräume in einer als fremdbestimmt wahrgenommenen Welt. Die Phase zwischen Jugend und Erwachsensein wird von Wissenschaftlern bereits als „Jojo-Übergang“ bezeichnet, weil die schwierige Ausbildungs- und Arbeitsmarktsituation ein echtes Erwachsenwerden, vor allem ein eigenes Einkommen, verzögert. So zieht ein Drittel der Jugendlichen mit eigener Wohnung wegen Finanzproblemen wieder bei den Eltern ein. Die wiederum haben’s nicht immer leicht mit ihren Kindern, ganz anders als die Großeltern. „Vielleicht“, so ein Teilnehmer, „kommen die mit den aufsässigen Nachkommen besser zurecht, weil beide Seiten Unterschiede akzeptieren können, ja geradezu erwarten“.

Mehr zum Berliner Hiphop-Projekt: www.culture-on-the-road.de