Die Lust an der Selbstzerfleischung

Die CDU kann einem Leid tun: zwei Gesichter, keine Führung. Viele Meinungen, kein Konzept. Und eine Fraktionsklausur, die als bierseliger Betriebsausflug endet. Wie es die Volkspartei geschafft hat, ihren Umfragenvorsprung vor der SPD zu verspielen

VON STEFAN ALBERTI

Auch CDU-Abgeordnete haben Kinder. Kinder, die Märchen hören wollen. Dieses könnte eins sein: Es gab mal eine Zeit, da konnte die Union vor Kraft kaum laufen und schien auf dem Weg zur 40-Prozent-Partei. Es muss nämlich ein Märchen sein, dass das durch das ganze Frühjahr die Lage der CDU gewesen sein soll. Anders ist es kaum zu erklären, dass die Union heute, nur Monate später, nur noch müde drei statt vorher vierzehn Prozentpunkte vor der SPD liegt. Obwohl die Sozis genau in dieser Zeit mehr und mehr Probleme bekamen: Die Tempodromaffäre brachte immer neue Ungereimtheiten hervor, ihr Landeschef trat zurück, Hartz schlug zu, und ihr Finanzsenator kam unter Anklage.

Die zwei Gesichter der CDU

Das Problem der CDU hat zwei Gesichter. Eins ist immer noch jungenhaft, wenn auch ernster geworden als noch vor einem Jahr. Das andere war 2001 auf tausenden Wahlplakaten zu sehen und steckt mittlerweile unter angegrauten Haaren, obwohl es einem auch erst 38-Jährigen gehört. Die Gesichter sind Nicolas Zimmer und Frank Steffel. Der aktuelle Fraktionschef, der nicht in letzter Konsequenz führen will. Und sein Vorgänger, der führen wollte, es aber nicht wirklich konnte.

Im Mai 2003 hatte Steffel nach andauerndem Druck innerhalb und außerhalb der Partei den Vorsitz hingeworfen. Einsicht in das Unmögliche nannte das der damals ebenfalls ausscheidende CDU-Landeschef Christoph Stölzl: Unmöglich könne man Politik machen, wenn man unbeliebt und ungeliebt sei. Sofort war von einem Neuanfang die Rede. Bloß: Den gab es nicht wirklich. Steffel war zwar nicht mehr Chef, blieb aber in der Fraktion, zudem Vorsitzender der einflussreichen Reinickendorfer CDU, nahm nach einiger Zeit wieder zunehmend Einfluss.

Dazu würde man gerne etwas von Steffel selbst hören, der seit seinem Teilabgang wieder die familieneigene Raumausstatter-Firma führt. Doch der reagiert nicht auf eine Gesprächsanfrage. So müssen andere reden. Über den so genannten Freundeskreis etwa, in dem Steffel einflussreiche CDUler und eine ganze Reihe von Kreisvorsitzenden um sich sammelt. Von Bestrebungen, seinen Spezi Frank Henkel, derzeit parlamentarischer Geschäftsführer, Zimmer ablösen zu lassen. Offiziell gibt es Dementis. Jeder, mit dem man spricht, sagt aber auch, dass es so nicht weitergehen kann.

Denn was ist das Bild der CDU, während die SPD Hartz IV und Tempodrom bewältigt? Ein Hin und Her zu einer erneuten Klage gegen den Berliner Haushalt – von Zimmer angestrebt, von der Fraktion nicht gewollt. Ein CDU-Landeschef Joachim Zeller, der sich gegen die Parteilinie stellt und fordert, Hartz IV zu verschieben. Eine Fraktionsklausur in Warschau, die nicht als Ideenfabrik, sondern als eine Art bierseliger Betriebsausflug Schlagzeilen machte und im Abgeordnetenhaus zur Lachnummer wird. Ein stellvertretender Fraktionschef Gregor Hoffmann, der öffentlich darüber nachdenkt, Stölzl, intellektuelles Aushängeschild der CDU, könne nicht länger Vizepräsident des Abgeordnetenhauses sein. Weil er wie bei anderen Terminen auch bei der Klausur fehlte – Stölzl war als Kulturpolitiker unterwegs. Inzwischen rudert Hoffmann zurück, will seine Worte „im ersten Ärger“ nach dem Warschau-Ausflug verstanden wissen.

Nun könnte man meinen: Zimmer kann an sich arbeiten, kann besser, souveräner, autoritärer werden. Doch das hat er schon vor Monaten angekündigt. „Ich werde nachdrücklicher werden müssen“, sagte er der taz im Juli. Die Warschau-Klausur ist der beste Beweis, dass das nicht klappt. Und letztlich kann sich Zimmer auch nicht verbiegen. Denn er ist weder Einpeitscher noch mitreißender Chef, sondern einer, der lieber moderiert, statt klare Vorgaben zu machen. Die Fraktion wird sich entscheiden müssen, wenn sie die gegenwärtige Misere beenden will. Entweder nimmt sie Zimmer so, wie er ist, akzeptiert seinen Stil und macht das auch Steffel gegenüber deutlich. Oder sie benennt einen Nachfolger, der führen will wie Steffel und sich dabei doch nicht derart unbeliebt macht.

Entscheiden, aber schnell

Wohin die Fraktion auch immer tendiert – schnell muss es sein. Zwei Jahre sind es noch bis zur nächsten Abgeordnetenhauswahl. Nur zwei Jahre. Denn es zeichnet sich ab, dass die CDU nur dann mit Landeschef Zeller als Nummer eins antritt, wenn es für sie absehbar nichts zu gewinnen gibt, wenn man nur einen Zählkandidaten braucht. So wie 2001 mit Steffel.

Eine Chance habe man nur mit einem Import, heißt es, so wie 1981 mit Richard von Weizsäcker. Der aber war schon zwei Jahre vorher als Spitzenmann installiert. Ein solcher neuer Weizsäcker, falls man ihn überhaupt findet, wird aber nur nach Berlin kommen, wenn die Fraktion anders als jetzt dasteht.

Es wird also knapp für die Union. Das weiß auch Zimmer. Der drängte seine Partei schon im Sommer: Wenn man eine Lösung von außen wolle, sei es zu spät, diese Angelegenheit erst beim Parteitag 2005 zu klären. Von einer solchen zeitigen Klärung ist aber nichts zu sehen.

Stattdessen steht die nächste Personaldebatte an. Ausnahmsweise nicht in der Fraktion, sondern in der Partei. Dort muss Monika Grütters, Fraktionsvize und stellvertretende Landesvorsitzende, um ihre politische Zukunft fürchten. Der von ihr geführte CDU-Ortsverband, der zahlenmäßig kleinste in Wilmersdorf, soll nach taz-Informationen gegen seinen Willen früher als geplant aufgelöst oder fusioniert werden. Der renommierten Kultur- und Wissenschaftspolitikerin Grütters, die diesen Sachverhalt bestätigte, würde dann für die Wahlen 2006 die Hausmacht fehlen.

Wenn die Kinder der CDU-Abgeordneten nach dieser Gute-Nacht-Geschichte nicht besonders gut einschlafen, ist das verständlich. Unterm Strich ist das alles nämlich kein Märchen. Weil ein Märchen immer noch etwas Positives hat. Das aber ist bei der Union derzeit nicht einmal in Ansätzen zu erkennen.