Schrumpfschweden

Während alle großen schwedischen Zeitungen gleichzeitig aufs Tabloid-Format schrumpfen, steigert das Gratisblatt „Metro“ kräftig seine Auflage

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Will man der Werbung glauben, mit der die Verlage der schwedischen Überregionalen derzeit klotzen, war der 5. Oktober ein historischer Tag, ein T-Tag – denn sie schrumpften gemeinsam von Broadsheet- zum Tabloid-Format. Bis zum Frühjahr nächsten Jahres werden die meisten Regional- und Lokalblätter folgen. Dann werden allenfalls fünf bis sechs Regionalzeitungen im traditionellen Vollformat übrig geblieben sein. Und auch ihnen droht dann das Tabloid: „Es wird mit einem Standard-Anzeigenformat enden, und da bekommen Vollformate Probleme“, begründet Torbjörn Bergmark, Chefredakteur des nordschwedischen Västerbottens-Kurieren, die Schrumpfung seines Blattes.

Ticker statt Recherche

Wie die meisten seiner KollegInnen sieht Bergmark nicht die Gefahr, dass gleichzeitig mit dem Format die Qualität schrumpft. Martin Jönsson von der Branchenzeitung Journalisten widerspricht und verweist auf die krisenbedingt bereits stark geschrumpften Redaktionen. Hier könnten die Verlage weiteres Streichpotenzial finden, weil „Tabloids mit Füllmaterial wie etwa Tickermeldungen bestückt werden“ können. Fraglich nur, ob LeserInnen mit dieser Strategie nicht erst recht in die Arme der Gratispresse getrieben werden.

Die reagiert auf dem Testmarkt Schweden auf die Formatoffensive nämlich ihrerseits mit massiver Expansion. Metro, die Mutter aller mit Agenturmeldungen gefüllten Gratistageszeitungen, welche 1995 in der stockholmer U-Bahn gestartet war, will zum 20. Oktober mit einem Schlag die auflagenstärkste Tageszeitung des Landes werden. Mit der bisherigen Beschränkung auf die drei Großstädte ist es dann ebenso vorbei wie mit der Verteilung ausschließlich im Zusammenhang mit Nahverkehrsmitteln. Die landesweite Ausgabe von Metro soll künftig dann in mehr als zwölf Städten in Ständern in den Innenstädten, vor Fabriken und Universitäten bereit liegen.

Sowohl die etablierten Abonnementzeitungen wie die Boulevardpresse müssen dann verstärkt um Leserschaft und Markenwarenreklame fürchten. Die Expansionspläne des schwedischen Gratisriesen, der zwischen Santiago und Seoul mittlerweile 15 Millionen LeserInnen haben will und derzeit 35 Städte in 16 Ländern mit Infos eindeckt, erstrecken sich offenbar auch auf andere Märkte: In Polen soll Anfang November auf neun Städte aufgestockt und damit die drittstärkste Auflage landesweit erreicht werden.

Empfindlich getroffen wurde die schwedische Qualitätspresse schon vom letzten Metro-Versuchsballon, eine auf Immobilienanzeigen spezialisierte Gratiswochenzeitung. Gestartet in diesem Frühjahr hat sie den großen Stockholmer Tageszeitungen so viel Annoncen weggenommen, dass diese gerade tiefrote Bilanzen ankündigten.

Im Zangengriff

In diesem Zangengriff zwischen Anzeigenschwund, Gratispresse und IT-Medien sehen viele AnalytikerInnen den eigentlichen Grund der jetzigen Tabloidisierungshysterie – und nicht etwa in den vielbeschworenen „neuen Lesegewohnheiten“. Jönsson: „Man verspürt ganz einfach ein akutes Bedürfnis, etwas Neues bieten zu müssen.“

Ein weiteres Problem steht erst dann ins Haus, wenn nach erfolgter Umstellung alle Blätter gleich aussehen. Dann werden einzelne Zeitungen wieder versuchen müssen, sich von der Masse vereinheitlichter Formate abzusetzen. Und dann gilt es, so Jönsson, sich der eigentlichen Herausforderung zu stellen, „nämlich mal mit Qualität zu konkurrieren“.