„Wir haben von Warhol siegen gelernt“

„Wenn die Achtziger die Party waren, dann waren die Neunziger der Hangover.“ Ein Gespräch mit Simon Le Bon und Nick Rhodes von der britischen Popband Duran Duran über ihr neues Album, Andy Warhol, Pop als Lebensgefühl und darüber, wie einem Erfolg helfen kann, mit Spott umzugehen

VON MAX DAX

Mitten im Achtziger Revival: Wie blicken Sie auf dieses Jahrzehnt zurück, das Duran Duran mit ihrem Glamour wie keine zweite Band prägten?

Simon Le Bon: Wir waren wie Inseln in einem Gesellschafts-Raum-Kontinuum. In uns materialisierten sich gewisse, in der Luft liegende gesellschaftliche Entwicklungen. Wir machten Musik – aber wir waren Pop und Fashion. Das konnte man in den Achtzigern nur intuitiv verstehen – oder man verstand es gar nicht. Wir drehten als einige der Ersten Videos für MTV, und wir lebten das exzentrische Dandyleben eines Popstars in den Achtzigern. Das konnte und wollte die Presse nicht verstehen.

Nick Rhodes: In meinen Augen waren die Achtziger das letzte Jahrzehnt, das sich ganz und gar der Kreativität verschrieben hatte – als ob es keine anderen Probleme gegeben hätte. Schauen Sie sich die Musik an, die in den Achtzigern entstanden ist: The Cure, U2, Madonna, Depeche Mode, wir natürlich.

Sie nennen ausschließlich Rockstars aus der ersten Liga.

Rhodes: Ganz richtig. Die Achtziger waren eine einzige Goldgrube! Die Musik hat so viele Impulse bekommen, wie zu keinem Zeitpunkt später. Oder die Mode: Die Achtziger waren das Jahrzehnt, in dem die Menschen die Mode entdeckt hatten. Yohji Yamamoto wurde groß. Comme des Garçons. Jean-Paul Gaultier. Gianni Versace. Giorgio Armani. Die ganze Welt explodierte vor Kreativität, jedes Genre wurde in den Achtzigern neu definiert.

Le Bon: Die Popwelt wurde schlagartig um ein Vielfaches größer als jemals zuvor. Pop wurde zum Lebensgefühl. Und leider, muss ich an dieser Stelle anfügen, leider haben wir seitdem nie wieder eine solche Phase künstlerischer Kreativität erlebt.

Sprechen Sie auch von sich?

Le Bon: Wenn die Achtziger die Party waren, dann waren die Neunziger der Hangover.

Rhodes: Das war das große Problem der Neunziger, in denen die Künstler vorrangig damit beschäftigt waren, die Tür zu den Achtzigern gründlich zu versiegeln. Vielleicht hatten sie Angst vor ihrer eigenen Kreativität bekommen? Immerhin sind viele ihrer Vorgänger in dem Jahrzehnt, das sie so maßgeblich geprägt haben, gestorben. Es gab für die Künstler in den Achtzigern kaum Grenzen, nachdem sie bemerkt hatten, dass sie ihre Kreativität möglicherweise mit dem Leben bezahlen würden.

Sie sprechen von Aids, aber auch von den Attentaten auf John Lennon und Andy Warhol. Letzterer war ein großer Förderer von Duran Duran gewesen.

Rhodes: Wir haben von Warhol siegen gelernt. Wir waren Musiker, aber wir wollten so sein wie er. Warhol war in den Siebzigern wie ein Idol für uns. Und das bedeutete nun einmal, dass es bei Duran Duran nicht ausschließlich um Musik gehen durfte.

Sondern?

Rhodes: Warhol verkörperte ein Amerika des Glamours, während wir in England – in Birmingham, um genau zu sein, denn da kommen wir ja her – knietief in den muffigen Siebzigern feststeckten. Unzweifelhaft war die Factory mit ihrer ganzen Geschichte, den Drag Queens und den Drogen dunkler und zugleich spannender als alles, was wir in England geboten bekommen hatten. Ich rede nicht nur von dem Style, sondern auch von The Velvet Underground und einem Sound, einem ganz besonderen Sound, den niemand zuvor und niemand nach ihnen jemals wieder so hinbekommen hat.

Wie haben Sie Warhol eigentlich kennen gelernt?

Rhodes: Als wir das erste Mal in New York waren, fragte uns eine Betreuerin unserer Plattenfirma: „Gibt es irgendetwas, womit ich euch in New York eine Freude machen könnte?“ Ich war damals 17 Jahre alt und sagte einfach nur so: „Klar. Ich würde gerne auf das Dach des Empire State Buildings fahren und dort Andy Warhol treffen.“ Und sie sagte: „Okay.“ Ich dachte nur, das ist also das höfliche Amerika und hoffte, dass es zumindest mit dem Ausflug zum Empire State Building klappen würde. Am nächsten Morgen rief sie mich im Hotel an und sagte mir, dass wir mit Andy Warhol zu Mittag essen würden. So passierte es dann auch.

Warhol hatte von Ihnen also bereits gehört?

Rhodes: Man muss das so sehen: Da kommt eine junge Band aus London, die als das neue Style-Ding aus England Vorschusslorbeeren bekommt – und äußert als einzigen Wunsch Andy Warhol sehen zu wollen.

Le Bon: Vor allem aber hatte diese Band in Nick Rhodes einen extrem gut aussehenden jungen Mann an den Keyboards. Warhol verliebte sich in Nick. Und Nick stellte mich irgendwann Andy vor. Das war fantastisch. Natürlich weiß ich, dass es ein Privileg für uns war, dass wir solche Wünsche äußern konnten und dann auch noch erfüllt bekamen. Nichtsdestotrotz war es eine große Ehre, bei dem König von New York willkommen zu sein. Denn das war Andy: Der König von New York.

Rhodes: Er war zugleich lange Zeit der Einzige, den wir wirklich in New York kannten.

Le Bon: Ich erinnere mich genau an meinen Geburtstag in New York City. An mein Geburtstags-Dinner, um genau zu sein. Das war 1986 oder 1987.

Rhodes: 1986, mein Lieber.

Le Bon: Stimmt, der 20. Oktober 1986. Da hatte Nick heimlich Andy zu meiner Party eingeladen.

Rhodes: Aber es war doch dein Geburtstag.

Le Bon: Auf jeden Fall betrat Andy Warhol das Restaurant und belegte den Tisch direkt neben unserem. Ich war so überrascht! Und dann kam er auf mich zu und überreichte mir sein Geschenk: Ein kleines Bild aus seiner „Camouflage Paintings“-Serie.

Rhodes: Es war ein außergewöhnlich schönes Bild.

Während Andy Warhol Sie liebte, wurden Sie von der Weltpresse in den Achtzigern verhöhnt und verspottet – eigentlich auch noch heute.

Le Bon: Ich empfand es immer als witzig, wenn ich in den Zeitungen gelesen habe, dass es nun mit unserer Band endgültig vorbei sei. Wir haben jedes Jahr Nachrufe über uns gelesen – böse, zynische Nachrufe, wie sie sonst nur über die Royals berichten.

Sie hatten das Geld, um gelassen mit dem Spott umzugehen?

Rhodes: Wenn wir nicht diesen richtigen Ton zur richtigen Zeit gespielt hätten, nicht den Nerv der Zeit getroffen hätten …

Le Bon: … und damit nicht so einen gigantischen Erfolg gehabt hätten.

Rhodes: … wenn wir also nicht Duran Duran gewesen wären, dann hätte uns die böse Häme vielleicht bis hin zur Auflösung verunsichert. Aber wir besaßen die Symbole des Erfolgs, wir hatten das Geld und vor allem ein Publikum, das unsere Band liebte und unsere Songs.

Trotzdem haben Sie England 1985 auf dem Höhepunkt Ihres Erfolgs verlassen und sind nach Paris gezogen – seitdem veröffentlichten Duran Duran zum Trio geschrumpft zwar regelmäßig Schallplatten, aber der große Erfolg blieb aus.

Rhodes: Sie meinen, weil unsere Alben „Pop Trash“ und „Medazzaland“ in Europa nicht veröffentlicht wurden, nur in den USA?

Le Bon: Wir sind in Paris immer zu den Modenschauen gegangen. Paris ist doch eine echte Fashion-Stadt.

Rhodes: Wir waren stets geladene Gäste. Was will man mehr? Wir haben uns damals regelrecht in Paris niedergelassen, feierten mit Grace Jones und dem Filmemacher Peter Beard. Außerdem hatten wir mit „Ordinary World“ 1993 einen Welthit.

Le Bon: Wir beide hatten in Paris Zimmer im gleichen Hotel bezogen, dem Plaza Athene. Eine Zeit lang hatten wir sogar ein ganzes Stockwerk gemietet. Wir konnten praktisch von einem Ende des Flures zum anderen rennen oder laut Musik hören, ohne jemanden zu stören. Das war unser Frühsport, wenn wir morgens aufgestanden sind.

Rhodes: Wenn wir nachmittags aufgestanden sind, Simon. Nachmittags.

Sie hatten keinen Vertrag, als Sie sich wieder in der Originalbesetzung zusammenfanden, um das neue Album einzuspielen. Dabei blicken Sie auf eine märchenhafte Karriere zurück. Reißen sich da nicht die Plattenfirmen um einen?

Rhodes: Wir leben heute in einer Zeit, in der nur noch wenige Künstler ihren Leistungen angemessene Plattenverträge bekommen – und das auch nur dann, wenn sie sich verpflichten, sich von bestimmten Songschreibern und Produzenten betreuen zu lassen.

Le Bon: Oder wenn sie in einer Fernsehserie mitspielen.

Rhodes: Und natürlich hätten wir auch – egal, wie berühmt wir mal gewesen sind und wie viele Platten wir mal verkauft haben – an einen jungen Aufsteiger in der Plattenfirma geraten können, der in Kategorien wie „Pop Idols“ oder „Star Search“ denkt. So war es für uns ganz natürlich, erst die Platte aufzunehmen und dann erst sie zu verkaufen – statt wie früher den umgekehrten Weg zu gehen.

Le Bon: Wir haben uns regelrecht zurückgezogen, um das Album zu produzieren. Wir sind nach Saint-Tropez gefahren.

Rhodes: Wir haben uns über ein Jahrzehnt nicht gesehen, und plötzlich saßen wir fünf zusammen unter einem Dach in Südfrankreich, redeten zusammen, machten gemeinsam Musik, aßen unser Abendessen an einem Tisch. Das war eine ganz schön intensive Situation. Wir konnten uns den ganzen Tag auf die Arbeit konzentrieren. Am besten war es eigentlich immer nach dem Abendessen, wenn wir bereits ein bisschen angeheitert vom Rotwein waren und dann noch bis nachts gespielt haben. Von dieser Atmosphäre ist „Astronaut“ durchdrungen.

Heute hört man bei Ihnen verstärkt auch Selbstreferenz und Selbstzitat. Ist das ein Zeichen zunehmender Altersgelassenheit? Oder gehen Ihnen die Ideen aus?

Rhodes: Picasso sagte einmal: „Ich habe mein Leben lang versucht, die Fähigkeit wiederzuerlangen, wie ein Kind zu malen.“ Meiner Meinung nach ist ihm das in seinen Meisterwerken auch gelungen, jenen Bildern, die so aussehen, als ob sie von einem unfassbar talentierten und gesegneten Kind gemalt worden wären – und nicht von einem erwachsenen Mann. Genau das versuchen wir auch zu erreichen.