„War nie verrückt genug“

Bald wird sie ihren Bühnenabschied geben: Nana Mouskouri. Zu ihrem 70. Geburtstag ein Monolog übers Älterwerden, Bob Dylan, Cher und das Glück einer Frau, die nur gerne singt

PROTOKOLL JAN FEDDERSEN

Sie ist an diesem Morgen früh aufgestanden, um fünf Uhr von Paris aus ging es nach Berlin. Sechs Tage lang Promotion, Interviews samt Eintragung ins Goldene Buch der Stadt und einem Konzert in der Philharmonie. Nana Mouskouri, noch 69, ist Tochter eines Kinovorführers und einer Hausfrau, studierte Mitte der Fünfzigerjahre an einem Konservatorium, ehe sie wegen ihrer Liebe zu Filmmelodien und zum Jazz um Exmatrikulation gebeten wurde. „Weiße Rosen aus Athen“ war 1960 ihr Einstand in die internationale Easy-Listening-Szene mit Bürgerrechtsappeal; ein 1963 entstandenes, von Quincy Jones in New York produziertes und vor vier Jahren wiederveröffentlichtes Jazzalbum machte sie auch in bildungsbürgerlichen Kreisen kredibel. Beim Gespräch putzt sie zunächst ihre schwarz umrandete Brille, ehe sie den Fotografen darauf hinweist, dass sie seine Arbeit erlaubt, wenn auch nur ohne Blitz.

Kann ich meine andere Brille aufsetzen? Ja? Danke. Ob ich nur schwarze Brillen habe? Nein, ich habe auch eine rote. Und bitte jetzt einen Kaffee und ein Wasser. Danke. Ich habe viele Brillen, sie sind ja immer vom gleichen Stil. Es ist ja so, dass sie nun mal mein Image sind. Und ich mag die Form, mein Gesicht gefällt mir mit meiner Brille. Früher konnte ich mich hinter ihr verstecken, ich fühlte mich nackt, wenn ich sie nicht trug. An Linsen konnte ich mich nie gewöhnen. Eine Brillenvitrine habe ich nicht, aber eine für Schuhe. Die Brille liegt immer parat. Wenn ich zu Hause für Ordnung sorge, weiß ich, wo was liegt.

Greift den Discman, der auf dem Tisch liegt, und hört sich eine CD an. Der „Original Soundtrack ‚Unvergängliches Griechenland – Traumland der Sehnsucht‘ “, auf dem die Urfassung von „Weiße Rosen aus Athen“ enthalten ist, damaliger Titel: „Erntelied“.

Sie singt einige Takte mit. Oh, das war wunderbar. Sieht bei ihrem Manager im Zimmerhintergrund plötzlich einen iPod in der Jackentasche, bemerkt: So einen habe ich auch. 900 Lieder sind schon drauf. Lacht. Singt wieder aus dem „Erntelied“. Das heißt ja eigentlich auf Griechisch „Wenn du pfeifst dreimal“, die weißen Rosen kamen erst später dazu, in Deutschland waren sie aus Athen, in Frankreich aus Korfu, weil sich das besser sang. Meine Produzenten haben mir damals geraten, den Song „Das Lied von Athen“ für den internationalen Markt zu nehmen, aber ich hatte das Gefühl, dass „Wenn du pfeifst dreimal“ besser wäre. In Griechenland war das Lied nicht so beachtet, aber überall sonst der Hit. In Holland, nein, in Spanien und Italien ging es um rote Rosen, in Holland um Jasmin. Dass ich mit diesem Lied in die Welt gehen würde, konnte ich nicht einmal ahnen. Ich wollte immer nur singen. Nur gut darin sein. Ich konnte ja nichts verlieren, nur gewinnen. Wer gut arbeitet, kann nicht verlieren. Erst Deutschland, dann Frankreich, dann langsam auch in anderen Ländern.

Es gab keinen Plan, so, jetzt machen wir die Welt, aber Deutschland hat so schnell auf mich reagiert. Es ist ja nicht leicht, mit der ersten Schallplatte schon Erfolg zu haben. Dann Amerika. Und Quincy Jones. Er war bei Michel Legrand in Paris, um über Plattenverträge und neue Talente zu sprechen. Haben wohl nach neuen Stimmen gesucht. Das war eine schöne Überraschung für mich, als Quincy mich fragte, ob ich auch auf Englisch singen würde. Er machte ein kleines Demoband, und in Amerika haben sie dann entschieden, mit mir ein Album auf Englisch zu machen. Es ging nicht um Jazz, sondern um meine Stimme. Quincy hat mich erst mal einige Tage durch New York geschickt, damit ich mich an das neue Lebensgefühl gewöhne. 1963 hörte mich Harry Belafonte, als er in London war, beim Grand Prix Eurovision im Fernsehen. Ich hab da ja für Luxemburg gesungen. Und als Harry nach Amerika zurückkam, fragte er Quincy, sag mal, kennst du eine französische Sängerin mit einer Brille?

Quincy meinte, Harry, du bist dumm, sie ist keine Französin, sie singt auf Französisch, aber sie ist aus Griechenland. Er hatte ja schon mit Miriam Makeba gearbeitet, aber er brauchte eine Sängerin, die ganz besonders exotisch wirkt. Die sollte ich sein. Ob ich mich selbst exotisch fand? Nein. Lacht. Mediterrane Musik klingt natürlich in Amerika ganz anders, exotisch. Heute finde ich das Wort aber schön. Wenn ich afrikanische Musik höre oder Melodien aus Finnland – das ist alles sehr schön exotisch. Klänge, die eine Identität haben. Viele Leute nehmen heute einen Weg, auf dem sie vergessen, wer und wie sie sind. Ich fühle mich in der Welt zu Hause, aber ich bleibe immer die Tochter meiner Eltern, Griechin. Wir nehmen unsere Heimat immer mit. Das hat nichts mit Rassismus oder Demokratie zu tun. Man sollte viele Länder kennen lernen, aber nicht vergessen, woher man kommt.

Heute klingen viele Sängerinnen so gleich. Kräftige Stimmen, ja. Céline Dion, Aguilera, Mariah Carey, Whitney Houston. Sehr schön, keine singt besser als die andere. Aber sie klingen nicht persönlich. Elvis war eine Karriere, Sinatra hat eine gemacht, da war Personality, Ella Fitzgerald hatte die natürlich auch. Und Sarah Vaughn war auch da, und sie klang trotzdem nicht wie Ella. Da waren andere Töne. In der klassischen Musik habe ich auch imitiert, Maria Callas oder im Gospel Mahalia Jackson, Ella im Jazz natürlich. Ich versuchte wie sie zu singen. Aber wenn man zu singen liebt, sucht man seinen eigenen Ton. Die Möglichkeiten finden, die in einem wohnen. Quincy sagte, ich könnte eine internationale Sängerin werden, wenn ich meine Identität, meine Kultur nicht vergesse. Nana, sagte er, solle ich immer bleiben, immer Nana.

Wer Nana ist? Eine Frau, die immer Sängerin sein wollte. Die gern viel arbeitete. Niemals den Enthusiasmus verlieren wollte. Und nicht aufhören wollte zu lernen. Mit den Jahren bin ich natürlich älter geworden, jetzt lerne ich von den jungen Leuten. Früher hat Céline, ich kenne sie ja schon lange, mich nachgesungen oder Mireille Mathieu. Jetzt lerne ich von ihr. Die jungen Leute brauchen einfach Unterstützung. Ich bin immer eine Schülerin geblieben. Ich war ein scheues Mädchen. In einem Land, wo es keine Freiheit gab, aber Liebe. Ich fand immer, dass es schön wird. Das Leben. Mit Liebe und Freiheit.

Ich weiß nicht, ob Bob Dylan was von mir gelernt hat. Lacht. Ich singe seine Lieder. Leonard Cohen ist ein Freund von mir, er hat ja auf einer griechischen Insel „Suzanne“ geschrieben. Und als ich mal in Los Angeles auftreten sollte, überredete Leonard Bob doch mitzukommen. Bob meinte, nein, keine Zeit, und dann, na ja, fünf Minuten … Er kam, und er ist auch sehr scheu, sagte mir, dass er das Schreiben von Liedern braucht, wir plauderten wunderbar. Er fand vielleicht gut, dass ich das Singen brauche. Ich meinte, Bob, du schreibst, kann sein, dass du deine Lieder anders gemeint hast, aber deine Lieder haben Magie, weil man in ihnen Gefühle ausdrücken kann. Die Streisand ist eine tolle Sängerin, aber sie lebt von ihrer graziösen Technik, nicht vom Gefühl. Sehr amerikanisch. Eine „big star machine“. Nichts für mich. Peggy Lee, Odetta oder Dinah Washington habe ich mehr verehrt. Sängerinnen, die eine Traurigkeit haben …

Ich bin nicht traurig, obwohl das manche denken. Aber die Liebe ist mit Glück und Traurigkeit verbunden. Bob fragte, wen ich sonst noch so möge, ja, Esther Ofarim, die sehr. Und Oum Kalthoum. Er sagte, ach, du meinst Oum Kalthoum? Ja, die schätze er sehr, die arabische Diva der Fünfziger. Tolle Stimme, unverwechselbar. Jedenfalls blieb er nicht nur fünf Minuten, sondern bis zum Schluss. Und immer fragte er zwischendurch, wen ich möge. Am Ende wussten wir, dass unsere musikalischen Lieben sehr ähnlich sind. Mein „Le ciel est noir“ hat ihm gefallen, meine Version von „A Hard Rain’s A-Gonna Fall“, mutig fand er das, obwohl er es nie so gesungen hätte, wie er sagte. Zwei Tage später er hat mir erlaubt, noch etwas von ihm singen zu dürfen. Im Interview für den Rolling Stone bezeichnete er Oum Kalthoum und mich als seine Lieblingssängerinnen. Vor Konzerten, wurde mir mal erzählt, hat er immer einige Lieder von mir gehört. So bekam ich ein Gefühl dafür, dass mein Weg weitergehen würde.

Ich bedaure nichts. Kein Lied.

Heute ist die Welt ganz anders als meine, als ich jung war. Unsere Generation war anders. Wir hatten einen Krieg hinter uns, und wir wollten eine neue Welt bauen. Wir waren durstig nach diesem Frieden. Heute geht es um mehr Geld, um mehr überhaupt. Früher ging es darum, eine bessere Welt möglich zu machen. Was heute in Afrika und Asien passiert … Furchtbar. Viele haben nichts zu essen. Und die Kriege. Afghanistan, Irak. Überall Krieg. Irgendwie wird alles zerstört. Die jungen Leute müssen Kraft haben für die Zukunft, gerade jetzt. Die Welt ist nicht schöner geworden? Sie scheint schöner, ja. Wir als Menschen machen Fehler. But you cannot stop the world. The drugs. America. Die vielen Waffen dort. Grauenvoll. Ich bin nicht gegen Amerika. Ich liebe es. Mein Traum. Bush oder Kerry, das ist wie Scylla und Charybdis. Aber Bush war lang genug Präsident. Er macht nichts für den Frieden.

Der Manager will ihre Erzählung abbrechen, die nächste Verabredung drängt. Nana Mouskouri sagt: Du darfst zugucken, aber nichts sagen. Ich habe noch zu berichten. Und ich brauche Ruhe. Okay?

Man muss positiv sein, negative Energien machen hässlich. Ich bin noch am Leben, mit guter Gesundheit. Ich kann mich mit klarem Verstand über so vieles freuen. Älterwerden ist nichts Besonderes, ich denke nie über mein Alter nach, meine Fans merken sich meinen Geburtstag aber genau, das ist das Problem. Was ich allen jungen Menschen sagen möchte: Es ist einerlei, was man macht, nur gerne muss man es tun. Und wer singen will, darf sich auf die Technik nicht verlassen. Singen zu müssen – darauf kommt es an. Sonst erreicht man keine Herzen. Und man muss bei sich bleiben, nicht wie Marilyn Monroe, die sich vom Bild, das man sich von ihr machte, auffressen ließ. Sie wollte immer allen gefallen.

Neulich haben mein Lebensgefährte André Chapelle und ich doch noch geheiratet. Meine Kinder waren erstaunt. Um die Urkunde ging es ja nicht, aber die Zeremonie war uns wichtig. Lacht. Wir leben in dem Gefühl, unter der gleichen Baumkrone zu stehen. Mehr denn je. Es war keine Vertragsunterzeichnung. Eine Segnung. Einfach schön.

Meine Abschiedstournee beginnt nächstes Jahr, zuerst in Frankreich, dann Deutschland, Skandinavien, Australien, Asien, Kanada und USA. Man kann die Welt nicht in einem Jahr schaffen. Cher ist ja auch gerade dabei, ihren Abschied von der Bühne zu geben.

Oh, ich liebe sie. Meine Freundin. Wir lachen immer so viel zusammen. Aber was sie mit ihrem Körper macht … So oft habe ich Angst um sie. Aber sie ist so zufrieden mit ihren kleinen Operationen. Und wenn wir uns sehen, zeigt sie mir, was neu passiert ist (zupft etwas an ihrer Wangenhaut und an der Schulter). Sie ist einfach hübsch. Sie ist so glücklich, wenn sie sich ändert. Früher konnte man ja kaum den Mund aufkriegen, wenn man sich etwas hat liften lassen. Heute weiß man, dass man früh damit anfangen muss. Ich natürlich nicht. Aber Sophia [Loren] hat auch da und dort (lacht, zupft etwas ihre Haut am Hals), jedenfalls bin ich in einem berühmten Jahr geboren. Im gleichen wie Sophia, Brigitte Bardot, Georges Moustaki und Leonard Cohen. Elvis und John [Lennon] wären jetzt auch um die siebzig. Für den Tod viel zu jung. Es ist nicht leicht, ein Star wie Elvis zu sein. Man wird krank. Isst zu viel oder hat Kummer. So wie Marilyn. Oder Janis Joplin. Ich mochte immer Rock ’n’ Roll. But the destiny hat für mich eine andere Musik bestimmt. Ich lebe noch. Ich war nie verrückt genug. Das ist mein Leben.

JAN FEDDERSEN, 47, ist taz.mag-Redakteur, protokollierte Mouskouris Selbstauskunft