Himmlische Vielfalt

Drachen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie steigen lassen. Nur fliegen wollen sie alle, doch das ist in Hamburg nur an wenigen Stellen möglich. Sondergenehmigung für den Stadtpark?

Von Sebastian Siegloch

Der größte ist wirklich groß: 650 Quadratmeter Tuch wurden für den riesigen „Mega-Ray“ verarbeitet. Andere sind gerade mal so groß wie die taz, dafür kunstvoll bemalt; es gibt sie flach oder in Kastenform, mit einer oder mehreren Leinen, mit und ohne Schweif: Drachen sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie fliegen lassen.

Jörg Böttchen zum Beispiel ist überzeugter „Ein-Leiner-Pilot“. „Zappeldrachen“ nennen er und die rund 30 Mitglieder der Hamburger Drachengruppe „Lass‘ einen fliegen“ die an zwei oder mehr Leinen hängenden Lenkdrachen. Auch das Selberbauen ist hier Ehrensache, wenn auch mit unterschiedlichen Spezialgebieten: „Manche bauen lieber moderne Drachen aus Spinnaker-Nylon und Kohlefasergestänge, andere bauen so genannte historische Drachen aus Baumwolle und Holz nach“, erzählt Böttcher.

Aus Spaß am Fliegen, denn ihre historische Funktion erfüllen auch solche Geräte heutzutage kaum noch. Vor 100 Jahren wurden sie zu militärischen Zwecken eingesetzt oder dienten der Wetterforschung. So gab es eine meteorologische Drachenstation in Groß Borstel bei Hamburg, die noch bis in die 50er Jahre des 20. Jahrhundert in Betrieb war. 1899 stieg ein Drache erstmals über 4.300 Meter in den Himmel empor, um unter anderem Daten über Temperatur und Luftdruck zu sammeln.

Von solchen Höhen können Böttcher und seine Drachenfreunde nur träumen. Die Freigabe für Drachen ist in Deutschland gesetzlich geregelt: Bis zu 100 Meter lang darf die Schnur sein. „Das ist reichlich wenig“, bemängelt Böttcher, denn gute Winde wehten oft erst über der 100-Meter-Grenze. Manchmal, bei Drachenfesten zum Beispiel, gebe es Ausnahmen, dann dürfen sich die Drachen 300 oder 500 Meter hoch in den Himmel schrauben.

Die klassische Drachenform heißt „Eddy“ – nach ihrem Erfinder William A. Eddy, der sich diese Weiterentwicklung aus der herkömmlichen Rhombusform vor 104 Jahren patentieren ließ. Der „Eddy“ ist besonders für leichte bis mittlere Winde – „zwischen Windstärke null und drei“ – geeignet. Wer‘s stürmischer mag, – „so von Windstärke drei bis fünf“ – schickt „Cody“ ins Rennen, einen Kastendrachen, den Samuel Franklin Cody zur gleichen Zeit entwickelte. Für Starkwind empfiehlt Böttcher „stablose“ Flieger: „Für uns ist das ganze Jahr Drachensaison, man braucht nur das richtige Modell.“

Und den passenden Ort. „Wir haben in Hamburg keine schönen Plätze, um Drachen steigen zu lassen“, klagt Böttcher. Die klassisch-herbstlichen Stoppelfelder? Für Drachenflieger meist tabu, weil die Bauern oft schon für den Winter gesät hätten. Auch in Naturschutzgebieten ist das Fliegen untersagt. „Einmal haben wir in Geesthacht sogar eine Anzeige bekommen: Wir würden am zweiten Weihnachtsfeiertag die brütenden Vögel stören“, ärgert sich Böttcher. Die Drachengruppe muss ausweichen: in die Lohe nach Wentorf, an die Horner Rennbahn, in den Öjendorfer Park oder in das neue Industriegebiet in Reinbek.

Bleibt der Hamburger Stadtpark. In einer 2004 neu aufgelegten Broschüre wirbt die Behörde für Stadtentwicklung schließlich schon auf der Titelseite mit einem Mann, der dort seinen Drachen steigen lässt; auch die Festwiese wird als „Erholungsfläche für vielfältige Nutzungen wie ... Drachenfliegen“ angepriesen. Doch das ist im Stadtpark eigentlich seit 1962 verboten – er liegt in der Flugverbotszone innerhalb des sechs Kilometer-Radius‘ um den Flughafen Fuhlsbüttel.

Die SPD wies den Senat in einer kleinen Anfrage auf diesen Widerspruch hin und forderte, zumindest den Himmel über der Festwiese für Drachen freizugeben. Umliegende Häuser seien viel höher als die erlaubte Flughöhe für Drachen. Für Ausnahmen in der Luftverkehrsordnung sei die zuständige Behörde verantwortlich, man habe sich „hiermit nicht befasst“, antwortete der Senat kurz und knapp. Und wurde dafür vom SPD-Abgeordneten Jan Quast prompt als „Drachentöter“ gescholten.

Auch wenn die Metapher etwas schräg ist, die „zuständige Behörde“, das Luftfahrtsreferat der Hamburger Wirtschaftsbehörde, hat reagiert: „Es wird für bestimmte Gebiete geprüft, ob wir eine Sondergenehmigung für Drachen innerhalb des Schutzbereichs des Flughafens erteilen können“, sagt Sprecher Christian Saadhoff.

Mehr Informationen zum Drachenbauen und Steigenlassen: www.drachengruppe-hamburg.de. Die Drachengruppe trifft sich jeden zweiten Mittwoch im Monat um 19 Uhr in der Gaststätte „Schiffbeker Moor“ im Evelingweg in Hamburg-Horn