Mit Startnummer 430

Die Studentenvermittlung der Hamburger Agentur für Arbeit verteilt jeden Morgen Tagesjobs. Das Angebot für Studierende ist nicht groß, aber besser als auf dem regulärem Arbeitsmarkt. Frauen haben es besonders schwer

von Sebastian Siegloch

Das Glasfenster in der Ecke des Raumes öffnet sich langsam. Träge erheben sich etwa 30 Menschen von den Plastikstühlen an den Wänden und schlurfen vors Fenster. Es ist sieben Uhr fünfundzwanzig. Die Gruppe, die keine Sitzplätze gefunden hat und stehen musste, verschiebt sich auch en bloc. „Die Startnummer für heute ist 430“ ertönt die Stimme von Holger Roland aus dem Lautsprecher. „Heute haben wir zehn Angebote. Wir fangen an mit einem Umzug in Eppendorf – 30 Euro pauschal für zwei Stunden, für jede weitere neun Euro, los geht‘s um halb elf.“

Roland spricht deutlich. Aus der Menge werden Zahlen gerufen, völlig anonym: „623“, „sieben-vier-fünf“, „13-53.“ Roland notiert sie auf seinem Zettel. Er ist Vermittler für Studentenjobs bei der Hamburger Agentur für Arbeit. „Das System hat sich bewährt“, sagt er, „das gibt es schon seit über fünfzehn Jahren.“

Ausweis in die Holzkiste

Wenn die Studierenden morgens früh um sieben den Vermittlungsraum betreten, werfen sie ihre Ausweise, die sie von der Arbeitsagentur bekommen haben, in eine große Holzkiste. Gegen halb acht kommt ein Mitarbeiter und zieht eine Karte. Das ist die Startnummer. Dann werden die Jobs verteilt. „Es ist eine Mischung aus Lotterie und Versteigerung“, sagt Roland. Er ruft einen Job aus und die Jobsucher rufen ihm ihre Nummer entgegen. Wer am nächsten dran ist, hat die Arbeit. Gezählt wird immer nur nach oben. Bei der Startnummer 430 hat die 429 die schlechtesten Chancen.

Die Studentenvermittlung gibt rund 1.800 Ausweise pro Semester aus. Im Monat vermittelt sie etwa 1.000 Tagesjobs. „Zu Wochen-, Monats- und Semesterende haben wir immer die meisten Angebote“, sagt Wilfried Völter, der Chef der Vermittlung, zu diesen Zeiten zögen die meisten Menschen um. „Umzüge sind die häufigsten Jobs“, berichtet Völters Kollege Roland. Manchmal müssen die Studierenden auch Kisten packen, Rasenmähen oder im Haushalt helfen.

„Oh Mann, sind wir doof“, ruft Levent Schmitt (770). Der 28-jährige Student der Elektrotechnik fasst sich an den Kopf. Er hat einen Job bekommen: Umzug in Blankenese, drei Stunden, 30 Euro, vierter Stock, ohne Aufzug. Er hat aber auch einen Job verpasst: Sonntag, Umzug in Eimsbüttel, zwei Stunden, 40 Euro, Erdgeschoss.

„Die Lage für die Studenten ist besser als die auf dem allgemeinen Markt. Trotzdem schlägt sich die gesamtwirtschaftliche Lage auch bei uns nieder“, sagt Vermittler Völter. Früher habe es mehr Jobs von Firmen gegeben – zum Beispiel bei Großveranstaltungen. Völter: „Im Prinzip sind die Jobzahlen leicht runtergegangen, aber nicht dramatisch.“

Männer sind gefragter

Aber bei den Jobsuchenden hätten sich die Zahlen verschoben: „Mittlerweile sind etwa 80 Prozent Ausländer.“ Die Zahl sei so hoch, weil diese aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht länger als 90 Tage arbeiten dürften. Deswegen seien sie auf Tagesjobs angewiesen. Studierende, die in festen Jobs arbeiten wollten und dürften, könnten entweder die längerfristigen Jobangebote der Arbeitsagentur nutzen oder die üblichen anderen Wege gehen: Schwarzes Brett, Laternen, Zeitung oder Beziehungen.

Als Holger Roland das Fenster um kurz nach neun schließt, ist Paul Moma (71) schon auf dem Heimweg. Er hat gleich gewusst, dass er heute keine Chance hat: „Die ganze Woche hatte ich Pech, nächste habe ich bestimmt wieder Glück“, so Moma beim Gehen. Mariette Djoumesse (51) ging auch leer aus. Das liege nicht unbedingt an ihrer Nummer, sagt die 26-Jährige: „Es gibt sehr wenige Jobs für Frauen, ab und zu einmal als Haushalts- oder Küchenhilfe.“

Die Umzüge sind den Männern vorbehalten. Jetzt wartet Djoumesse auf die Dauerjobs: Nachhilfe, Telefonistin, Bürohilfe, Kinderbetreuung. Die werden nach der Frühschicht vermittelt.