Tortenschlacht statt Streik

Der studentische Protest gegen die Hochschulreform des Senats ist im Sommer leise geworden. An der Uni kündigen ehemalige Streiker neue Demonstrationen an, andere setzen auf alternativen Widerstand

von sebastian siegloch

Vor gut neun Monaten besetzten sie noch das Büro von Uni-Präsident Jürgen Lüthje. Sie drangen in die Redaktion der Hamburger Morgenpost ein und dekorierten eine Hamburger Sparkasse mit Konfetti. Sie protestierten gegen die Hochschulreform von Hamburgs parteilosem Wissenschaftssenator Jörg Dräger: Gegen Studiengebühren, Hochschulräte, Fächer- und Studienplatzabbau. Sie beriefen eine Vollversammlung nach der anderen ein und lehnten sich auf gegen „die Zurichtung der Universitäten auf die reine Marktverwertbarkeit ihrer Mitglieder zu willigen Objekten des ökonomischen Prozesses“.

Heute ist die Homepage des Streikkomitees an der Uni abgeschaltet. Das Telefon im Streikbüro ist nur noch selten besetzt. Während des Sommersemesters wurde es still um die studentische Streikfront. Hat der lange Atem von Uni-Chef und Wissenschaftssenator den letzten Funken Hoffnung auf eine andere Hochschule ausgepustet? Oder war einfach die Blockade von Seminaren als Mittel des Protests nicht mehr vermittelbar?

Lorenz Gösta Beutin erkärt sich den Rückgang der Protestbewegung so: „Senator Dräger war durch die Neu-Wahl im Februar stabilisiert. Es gab keine sichtbaren Erfolge der Demonstrationen – im Gegenteil: Dräger brachte sogar neue Vorschläge für seine Hochschule ein. Sicherlich waren da einige frustriert.“ Doch das AStA-Mitglied, das sich im vorigen Wintersemester im Streik engagiert hatte, prophezeit neue Studentenproteste für dieses Halbjahr: „Es gibt Pläne, besonders in Bezug auf die anstehenden Kürzungen bei den Geisteswissenschaften. Hier wollen wir die Lehrenden mehr in die Proteste einbeziehen“, so Beutin.

Ziel sei es, bei den neuen Demonstrationen die eigene Kritik noch gezielter als vor neun Monaten vorzubringen: „Der Gesamtzusammenhang der Umstrukturierungspläne muss auch bei den Protesten deutlich werden.“ Ob die Protest-Aktionen noch einmal so radikal werden wie im Frühjahr, kann Beutin nicht vorhersagen. „Es ist sicherlich möglich. Das ist alles ein Frage der Dynamik.“

Astrid Henning sieht das etwas anders. „Es gibt im Moment definitiv keine Streikbewegung.“ Henning steht den radikalen Protesten der Vergangenheit eher kritisch gegenüber: „Es war am Ende nicht mehr der Streik der Studierenden, in erster Linie haben Studenten Politik gemacht.“ Trotzdem war sie bis zum Ende der Streiks mit dabei. Ihr Resümee: „Streiks an den Unis sind unheimlich kräftezehrend und auch leider ineffektiv.“

Deswegen schmiedete Henning schon während des Streiks Pläne für eine neue Form des Protests. Vor dem Sommersemester gründete die 31-jährige Geschichtsstudentin die Freie Hamburger Hochschule (FHH). Sie habe nicht mehr Räume besetzen wollen, sondern sich „wissenschaftskritisch einsetzen“.

Die FHH ist eine alternative Hochschule in der Hochschule. Lernende und Lehrende haben sich zusammengeschlossen und wollen „Formen des Widerstands gegen eine entfremdete hierarchische und autoritäre Gesellschaft entwickeln“. So steht es in der Präambel des kommentierten Vorlesungsverzeichnisses für das kommende Semester. Die FHH bietet selbst verwaltete Seminare an. Sie heißen „Post-autistische Ökonomie“ oder „Geschichte linker Bewegungen in der BRD seit 1945.“

Einmal in der Woche treffen sich Mitglieder und Freunde der FHH zu einer Veranstaltungs- und Vorlesungsreihe in der Teestube am Allendeplatz. Besonders beliebt ist dort die „Philosophische Tortenschlacht“. In dem Gespräch streiten sich zwei Experten zu einem aktuellen Thema. Ihre Redezeit ist auf fünf Minuten begrenzt. Danach klinken sich die Zuhörer in die Diskussion ein und streiten mit. Die Torten fliegen rein rhetorisch. Nicht wie am 4. Februar, als eine echte Torte dem Wissenschaftssenator auf einer Podiumsdiskussion ins Gesicht flog.