Stevens geht in Verlängerung

Die Herthaner verschaffen Huub Stevens mit dem 1:0 gegen Hansa Rostock eine Atempause. Besiegt seine Mannschaft die Rostocker am Dienstag im Pokal noch einmal, behält der Trainer seinen Job. Das ist gar nicht mal so unwahrscheinlich

von MARKUS VÖLKER

Eine halbe Stunde lang war Huub Stevens nicht mehr Trainer von Hertha BSC Berlin. Er befand sich in diesen unendlich langen Minuten in einem eigenartigen Schwebezustand. Je länger die Ungewissheit andauerte, desto schlimmer gestaltete sich Stevens’ ganz persönlicher Horror Vacui. Ein Ultimatum, offiziell Vereinbarung genannt, ließ den Holländer in der Anfangsphase des Spiels gegen Hansa Rostock zu einem Zombie der Fußballlehrerzunft werden, untot und lebendig zugleich. Die Erlösung kam durch den Treffer des Brasilianers Luizao (31.), der den unmöglichen Status des Trainers durch einen Linksschuss aufhob. Es war das einzige, das rettende Tor des Spiels.

Wie sehr muss Stevens diese Momente herbeigesehnt haben: erst das Zappeln des Balls im Netz, den Jubelschrei, dann den Abpfiff, der die ultimative Marter endlich beendete. Welchen Druck Stevens auszuhalten hatte, zeigte sich nach Spielende. Er umarmte Kovac, Luizao, der vorläufig seinen Job gesichert hatte, emotional überwältigt und mit Tränen in den Augen. Das ganze Team warf sich ihm an den Hals. Er bildete mit Hoeneß, dem Kotrainer und dem Pressesprecher einen Hüpfkreis. Das hopsende Quartett feierte. Sich selbst und den Umstand, dass es gerade noch einmal gut gegangen war. Stevens ließ sie raus, die aufgestaute Erregung.

Den Ingrimm hob er sich dann später für die Journalisten auf, die er wieder nur anknurrte und mit Kurzstatements fütterte. Der Trainer musste die Partie gewinnen. Sonst hätte er gehen müssen. So hatte es Manager Dieter Hoeneß in einer Pressekonferenz am vergangenen Dienstag verlautbart. Hoeneß nannte diese Strategie des Beharrens „demonstratives Festhalten an Stevens“, mit dem ihm zwar keine Freundschaft verbinde, wohl aber ein achtungsvolles Verhältnis, wie Hoeneß am Samstagabend im ZDF-Sportstudio bekannte. Er schätze besonders dessen Geradlinigkeit und Charakterfestigkeit, ließ er den Moderator Kerner wissen.

Diese Tugenden waren in den unruhigen Tagen vorm Hansa-Spiel besonders gefragt. Trainer und Mannschaft hatten offenbar ein Schweigegelübde vereinbart und versuchten, sich nur auf die Arbeit mit dem Ball zu konzentrieren. Im Ostseestadion trat die krisengeschüttelte Hertha dann so auf, als wolle sie Stevens eine Arbeitsplatzgarantie ausstellen. Sie spielte für den Coach. Das Team kam zu Chancen. Hatte den Gegner im Griff. Der wehrte sich allerdings kaum, zeigte sich unfähig, selbst ein attraktives Spiel zu gestalten.

Einige Zuschauer waren sich wohl im Klaren, dass Hansa Verstärkung gebrauchen könnte, und flitzten aufs Spielfeld. Erst als der Referee damit drohte, die Partie abzubrechen, verzichtete der Hansa-Fanblock auf eigenmächtige Einwechslungen, zumal die Abgeordneten von Block B doch erhebliche Schlagseite hatten.

Fredi Bobic, der mehrmals den Trainer hätte befreien können, sagte nach überstandenem Teil eins des Ultimatums: „Es hat nie besser gepasst als heute.“ Das Donnergrollen um den Verein tat er im Gefühl des Pyrrhus-Sieges als „ein bisschen Theater drumherum“ ab. Man habe sich vorbereitet wie immer. Marko Rehmer, bester Hertha-Spieler auf dem Platz, bemängelte die Chancenverwertung: „Das einzige Manko war, dass wir nicht höher gewonnen haben.“ Hellwach sei die Elf gewesen, sagte er, „das waren drei Punkte für Hertha BSC und für Stevens.“ Im Sportstudio rechtfertigte Hoeneß seine kompromittierende Entscheidung. „Ich glaube, dass wir unter den gegebenen Umständen super gehandelt haben“, sagte er. Am Dienstag muss sich Stevens gegen Hansa Rostock im Pokal erneut bewähren. Oder doch nicht? Hoeneß ließ in Mainz einen bemerkenswerten Satz fallen, der womöglich eine Abkehr von der „ultimativen Vereinbarung“ bedeutet. Er sagte, mit Bezug auf die Medienberichterstattung in Berlin: „Warten wir mal ab, wie die reagieren, die den Daumen zuerst nach unten gehalten haben; wenn sich alle einig sind, bin ich der Erste, der mit sich reden lässt.“ Er wird die Zeitungen also genau studieren und danach fahnden, ob Berlin nun „anders gepolt“ ist. Es schaut ganz danach aus, als sei für Huub Stevens bereits mehr als die Hälfte des Problems überstanden – und als würde er sich nicht mehr in Geiselhaft des Zufalls befinden.