Poesie, Gedichte also

In der langen Nacht der russischen Dichter ging es mal romantisch zu und mal ganz unprätentiös. Viele Dichter trugen Brille, und einer las Punktexte, in denen alles egal ist

Sich eine Nacht der russischen Dichter anzugucken, ist das Gegenteil von „Krieg und Frieden“ lesen. Während man bei „Krieg und Frieden“ vielleicht einen Monat mit dem Autor und seinen Gestalten zusammenlebt, bekommt man in der „Nacht der russischen Dichter“ acht russische Dichter, einen Sänger, einen elektronischen Musiker und dazu noch einen Dokumentarfilm über an- und abwesende russische Dichter, und alles in vier Stunden.

So ist es eben, und es ist ja auch schön und erstaunlich, wie viele Menschen gemischten Alters in das Haus der Berliner Festspiele gekommen waren, um an neuerer russischer Dichtung im Schnelldurchlauf zu schnuppern.

Es ging um Poesie, Gedichte also. Im weitläufigen Rangfoyer vor dem verschlossenen Theatersaal, präsentierte Joachim Sartorius, Herausgeber, Übersetzer, Lyriker und Intendant der Berliner Festspiele mit Sergej Gandlewski, Olga Sedokowa und Lew Rubinstein drei eher etablierte Stars der russischen Dichtung. Mal gab’s die angenehm zurückhaltend gesprochene Übersetzung vor, mal nach dem russischen Original.

„Mein Leben wäre keinen Deut schlechter, wäre es nicht meins“, hieß es bei Sergei Gandlewski. Bemerkenswert an dem Dichter ist auch, dass er sowohl den „Booker“ als auch den „Anti-Booker“-Literaturpreis gewonnen hat.

Die „philosophisch-symbolische Lyrik“ der 1949 geborenen Olga Sedakowa wirkte dagegen leicht romantisch-existenzphilsophisch sowie etwas elegisch. Eine Zuschauerin beobachtete die Dichterin durch ein Opernglas. Die konzeptualistisch-seriellen Gedichte des 1947 geborenen Moskauer Dichters und Kulturkolumnisten Lew Rubinstein leuchteten unmittelbar ein. Grad auch wie er sie so völlig unprätentiös vortrug. Hätte man stundenlang zuhören können. „Darf man / man darf / gibt es etwas / es gibt etwas / der Name / ist nicht unbedingt notwendig / das Problem / bleibt besteh’n / die Zeit / vergeht …“ und das halt stundenlang mit Dingen, die auftauchen, registriert werden, wieder verschwinden. „Keinen Anspruch / stellt das Wasser / was strebt nicht nach oben / das Wasser strebt nicht nach oben.“ Toll!

Dann versuchte der Moderator Boris Preckwitz für die jüngeren Dichter Stimmung zu machen, die jetzt „the house rocken“ sollten. „Are you ready for the russian underground?“, „give a hand of applause to …“ und nun mal la ola: „Eins, zwei – kollektivi orgasm“. Nun ja.

Die meist Mitte der Siebzigerjahre geborenen Dichter aber waren super und trugen meist Pullover mit Brille.

Schüchtern-schelmisch irgendwie grinste der Literaturkritiker und Lyriker Alexander Wosnessenski, als er Verse vortrug, in denen Mädchen Kröten aufblasen und dann drauftreten. Vieles schien von Baudelaire und der amerikanischen Beatliteratur beeinflusst. Am besten gefiel mir Wladimir Koslow, dessen erster Roman vor zwei Jahren erschien und der mit einer Band namens „Dysfunktion“ auch Punkmusik macht. Mit Akustikgitarre, die er eigentlich nicht mag, weil er Liedermacher nicht ausstehen kann, sang er tolle Punktexte, in denen alles egal ist. „Es wird kein Frühjahr geben / nichts wird es geben / keiner siegt / keiner unterliegt / nichts mehr zu erwarten/ nichts mehr zu verlieben / nichts mehr wird es geben.“

Koslow hatte eine klasse Präsenz, trank zwischen den Liedern, die er dem Publikum hinwarf, ab und an aus einer Wasserflasche, die er so heftig wieder auf den Boden stellte, das Wasser rausspritzte.

Am Ende gab’s noch sehr beatorientierte Slampoesie mit viel Drogen, Gewalt und Schrott von Andrej Rodionow. Man wunderte sich kurz, dass das Literaturpublikum ein Heroin-Lobgedicht so sehr beklatschte. Und danach dann prima romantische Breakbeats mit dem georgischen Musiker Nikakoi, der bei WMF-Records grad eine Platte gemacht hat. DETLEF KUHLBRODT