Kein Geistesblitz

Universität schrumpft: Ein Drittel der Professuren und jeder fünfte Studienplatz sollen wegfallen. Geisteswissenschaften droht Halbierung, bundesweit einmalige Angebote in Gefahr. Behördenpläne im Hochschulrat strittig

von EVA WEIKERT

Der 14. Dezember ist ein wichtiger Tag für die Uni. Dann will der Hochschulrat über ihren künftigen Bedarf an Fächern und Professuren entscheiden. Auf dem Tisch liegt ein Schrumpfungsplan von Wissenschaftssenator Jörg Dräger (parteilos), der vor allem die Geisteswissenschaften bedroht, und ein Gegenvorschlag der Uni selbst. Während der geplante Kahlschlag bei den so genannten Orchideenfächern republikweit auf Kritik stößt, bleibt es um andere still. Dabei soll auch die Informatik fast die Hälfte ihrer Professuren abgeben. „Käme es dazu“, so Dekan Siegfried Stiehl, „könnten wir die Umstellung auf Bachelor- und Masterabschlüsse gleich einstellen.“

Die Dekane der Geisteswissenschaften sind schon im Reformstreik. Denn setze sich der Senator durch, so Orientalistik-Professor Michael Friedrich, „gibt es hier nichts mehr umzubauen“. Friedrich hat eine Studie gelesen, die Dräger beim Hochschulinformationssystem (HIS) bestellte. Die GmbH hat den Bedarf der Uni an Studienplätzen und Professuren augerechnet, der sich durch den Hochschulumbau des CDU-Senats ergibt. Der verfolgt Studienplatzabbau in der Hoffnung, so die Betreuung der Studierenden zu verbessern und weniger Abbrecher zu generieren. Grundlage der HIS-Rechnung sind Absolventenbedarfsprognosen für den Wirtschaftsstandort Hamburg 2012. Die Geisteswissenschaften sind demnach nicht zukunftsfähig.

Dort soll die Absolventenzahl um 18 Prozent sinken. Wie HIS errechnete, würden dafür 58 Prozent der Studienplätze entfallen und die Professorenstellen halbiert, von 155 blieben 77,5. Insgesamt fiele jeder fünfte Studienplatz an der Uni weg, die gesamte Professorenschaft würde um ein Drittel auf 461 Stellen reduziert. Zwar soll die Zahl der Wissenschaftler mit 1.464 gleich bleiben, die der Professuren aber zugunsten von wissenschaftlichen Mitarbeitern mit Zeitverträgen stark schrumpfen (siehe Kasten).

Der Stellenabbau trifft die Geisteswissenschaft so hart, weil dort viele Fächer nur mit einer Professur besetzt sind. Mindestens 30 Fächer – 80 Prozent des bisherigen Spektrums – gingen verloren, warnen die Dekane der vier Fachbereiche Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften, Geschichte und Philosophie, Kulturkunde und Kulturgeschichte sowie Orientalistik. Bundesweit einmalige Angebote wie Vietnamistik und Thaiistik, aber auch Islamwissenschaften und Turkologie würden ausgelöscht. Philosophie etwa gäbe es nur noch in der Lehrerbildung.

Ob des Plans, das Bildungsangebot strikt auf die Nachfrage des Arbeitsmarktes auszurichten, warnt die SPD-Opposition vor einer „Akkordproduktion von Fachidioten“. Aber auch Naturwissenschaftler wittern Gefahr: „Wissenschaft und Technik, Management und Industrie ohne ethische Fundierung und europäische kulturelle Identität ist verantwortungslos“, so Informatiker Stiehl.

Obwohl HIS betont, sein „Modellgefüge“ gehe von einem „Idealzustand 2012“ aus, erklärte Senator Dräger das Zahlenwerk zur „erreichbaren Zielvorgabe“ und will es in den Leistungsvereinbarungen mit der Uni für 2005 verankern. „Diese Form von staatlicher Vorgabe geht an unserer Realität vorbei“, moniert Informatik-Dekan Stiehl. „Zudem ist eine Uni ein nichtlineares dynamisches System.“

Bei Umsetzung der HIS-Rechnung würde sein Bereich von 27 Professuren auf 14,5 schrumpfen. „Die Zahlen stehen in keiner Weise in Beziehung zu unseren fachlichen Ansprüchen“, rügt Stiehl. 20 Professuren seien das Minimum und brächten bereits „tragische“ Einschnitte auf Kosten von „Bindestrich-Informatiken“ und Interdisziplinarität. Er mahnt, „neue Strukturen müssen grundsätzlich Inhalten und Strategien folgen. Strukturen können nicht einfach politisch vorgegeben werden – dies wäre eine Zumutung und ein Angriff auf die Hochschulautonomie“.

Auch Uni-Chef Jürgen Lüthje weigert sich, die „Personalbedarfsberechnungen in dieser Größenordnung“ hinzunehmen. Fürchtet er doch, mit den Geisteswissenschaften ein „wichtiges Profilmerkmal“ der Uni zu verlieren. Um sie zu stützen, legte Lüthje jetzt einen eigenen Bedarfsplan vor und fand Sympathie beim Hochschulrat. Das mächtige Gremium schob Drägers Stellentableau vorerst beiseite und forderte statt dessen das Präsidium auf, seinen Alternativvorschlag zu überarbeiten.