Das „Gibraltar des Nordens“

Das holländische Den Helder ist für den Tourismus gerüstet. Wo früher Schiffe gebaut und gewartet wurden, erstreckt sich heute der Vergnügungspark Cape Holland, und Rad- und Wanderwege laden zum Entdecken der alten Geschichte

VON HARALD KELLER

Für die meisten Touristen ist Den Helder nur eine Durchgangsstation. Viele passieren den an die Spitze Nordhollands ausfüllenden Ort auf dem Weg zur Fähre nach Texel. Andere stoppen weit vorher und verteilen sich auf die Badeorte, Ferienhaussiedlungen, Campingplätze an der Nordseeküste zwischen Zandvoort und Bergen. „Eher unspektakulär“ heißt es in einem Reiseführer über die 60.000-Einwohner-Stadt Den Helder. Nachvollziehbar, denn dem flüchtigen Blick musste Den Helder lange Zeit als Paradebeispiel reizloser Nachkriegsarchitektur erscheinen. Doch das ändert sich, Den Helder befindet sich im Umbruch. Bereits heute lockern jüngere architektonische Stilrichtungen die Wohnviertel und Randbezirke auf, die Neugestaltung der Innenstadt steht bevor. Überlebtes wird entfernt, Erhaltenswertes herausgeputzt. Denn eigentlich ist Den Helder eine Stadt mit einer langen Historie, entstanden aus einem rund um 850 n. Chr. gegründeten Walfängerdorf namens Huisduinen.

Der Name hat sich in einer Siedlung erhalten, die sich im Nordwesten der Stadt an die landschaftlich reizvollen, von Rad- und Wanderwegen durchzogenen Dünen schmiegt. Die teils aus Holz gebauten schmucken kleinen Häuschen Huisduinens und die alte Kirche in ihrer Mitte sind einen Rundgang wert.

Vor allem die für Kriegsherren günstige strategische Lage war dafür verantwortlich, dass aus dem friedlichen Weiler zunächst ein Militärstützpunkt, dann eine umtriebige Hafenstadt wurde. 1811 besuchte Napoleon, damals im Krieg mit Russland und England, das holländische Nordkap und sah in ihm ein „Gibraltar des Nordens“. Folgerichtig veranlasste er den Ausbau der vorhandenen Stellungen. Das damals errichtete Fort Morland, später in Kijkduin umbenannt, ist heute restauriert und birgt neben einer militär- und regionalgeschichtlichen Ausstellung auch ein Seewasseraquarium mit Unterwassertunnel und Tidensimulation.

Auch nachdem der kleine Korse längst Geschichte geworden war, blieben Kriegsherren weiterhin an Den Helder interessiert. In den 40er-Jahren des 20. Jahrhunderts sicherten deutsche Besatzungstruppen die Küste durch Bunker und vereinnahmten Fort Kijkduin, indem sie es mit einer 60 Zentimeter starken Betonschale überzogen, um es so bombenfest zu machen. Allerdings überschätzten Hitlers Baumeister die Statik des bejahrten Unterbaus – unter dem Gewicht der schweren Haube drohte das Gemäuer zu bersten. Zwar überstand es das Ende des II. Weltkriegs, einige Jahre später jedoch musste der Guss in mühsamer Arbeit abgetragen werden. So viel zu deutscher Wertarbeit. Die Betonkruppe wurde durch eine leichtere Konstruktion ersetzt, sodass die unterschiedlichen Kriegsarchitekturen im Äußeren der Feste kenntlich blieben.

Rund um das Fort verlaufen Rad- und Wanderwege, am seeseitigen Fuß der Dünen erstreckt sich ein breiter Sandstrand. Die Ironie der Geschichte will es, dass der Krieg Den Helder erst groß machte und dann den Niedergang der Stadt bewirkte. Die massiven Bombardements des II. Weltkriegs ließen nicht viel übrig von den historischen Straßenzügen. Das Augenmerk der Nachkriegsjahre galt dem Wiederaufbau; die funktionale Architektur einer vulgarisierten Moderne, heute oft als „Bausünde“ abgetan, entsprach den sehr dringenden zeitgenössischen Bedürfnissen und erfüllte ihren Zweck.

Seither hat sich das Interesse vom Funktionalen zum Ästhetischen verlagert. Die alte Reichswerft Willemsoord zum Beispiel dämmerte lange Zeit vor sich hin. Der nördliche Teil des Areals wurde als Marinemuseum genutzt; Texelreisende kennen das hoch aufgebockte riesige U- Boot, das über das Ausstellungsgelände hinausragt und weithin sichtbar ist. Inzwischen wurden weitere Teile des Terrains einer neuen Nutzung zugeführt. Wo früher Schiffe gebaut und gewartet wurden, erstreckt sich heute der Vergnügungspark Cape Holland, der am 28. April 2004 im Rahmen groß angelegter Feierlichkeiten von Volkes Liebling Prinz Willem Alexander der Öffentlichkeit übergeben wurde.

Cape Holland stellt sich dar als Mischung aus seriösen Museen und diversen Unterhaltungsangeboten. „Game Kingdom“, „Caper’s Nest“, „Treasure Park“ heißen die verschiedenen Abteilungen, die sich vor allem an junge Besucher wenden. In den alten Docks und Hafenbecken liegen diverse Schiffe, darunter ein zur Besichtigung frei gegebener originalgetreuer Nachbau des Seglers Prins Willem, der 1649 als damals größtes Schiff der Niederlande in Auftrag gegeben wurde und mit seiner Länge von 68 Metern und den 54 Meter hohen Hauptmasten noch heute beeindruckt.

Mit dem „Utopolis“ gehört auch ein modernes Kinocenter zu diesem weitläufigen Komplex. Da in den Niederlanden fremdsprachige Filme nicht synchronisiert werden, kann, wer des Englischen oder Französischen leidlich mächtig ist, auch einen Kinobesuch in die Freizeitplanung einbeziehen. Die Disneyland-Atmosphäre von Cape Holland mag nicht jedermanns Sache sein, besonders für Eltern mit Kindern aber bietet sich hier eine Gelegenheit, Regentage ohne Langeweile zu überstehen.

Weniger spektakulär und doch sehenswert sind die angrenzenden Viertel mit ihren stillen Grachten. Kleine, schummrige Hotels und verkommene Nachtbars erinnern an die Kiezvergangenheit, als das Angebot der Läden und Lokale in der Zuidstraat und Weststraat vorrangig auf Matrosen und Arbeiter zugeschnitten war. Doch zeugt namentlich der untere Teil der Weststraat davon, dass hier eine schleichende Aufwertung vonstatten geht – gleich mehrere Galerien haben sich angesiedelt, und im alten Schulgebäude an der Ecke zur Beatrixstraat sind ein Ausstellungsraum und ein kommunales Kino untergebracht. Dessen Programm ist dem in schmucke Kacheln gefassten früheren Schulmotto „Lernen ist Leben/Wissen ist Macht“ durchaus angemessen.

Spielzeugliebhabern bietet sich an der Zuidstraat ein lohnendes Ziel mit dem Käthe-Kruse-Museum. Geöffnet: Di. bis Fr. 14.00–17.00 Uhr oder nach Absprache (Ortsnr.: 02 23-61 67 04) Öffnungszeiten Cape Holland: April bis Oktober täglich 10.00–17.00 Uhr, November bis März an den Wochenendtagen, in den Schulferien täglich 10.00–17.00 Uhr (Ortsnr.: 02 23-67 40 10) Weitere Informationen unter: www.capeholland.nl, www.dorusrijkers.nl, www.reddingsmuseum.nl