„Gurke“ führt bei Umfragen in Litauen

Der russischstämmige Unternehmer und Populist Viktor Uspaskich, der mit Gurkenhandel anfing, könnte in Litauen neuer Regierungschef werden. Bisheriger Koalition aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen droht Niederlage

STOCKHOLM taz ■ Für oder gegen Viktor? Das schien das eigentlich beherrschende Thema des Wahlkampfs zu den am Sonntag stattfindenden Parlamentswahlen in Litauen zu sein. Viktor Uspaskich und seine erst vor einem Jahr gegründete „Partei der Arbeit“ gelten als klare Favoriten, nachdem sie bei den Wahlen zum Europaparlament im Juni fast jede dritte Stimme holten. Da das zu einer regierungsfähigen Mehrheit aber trotzdem nicht reichen wird, war die Hauptfrage, welche der 14 anderen Parteien, die sich zur Wahl stellen, bereit wären, den 45-jährigen Uspaskich mit ihren Stimmen auf den Stuhl des Ministerpräsidenten zu heben.

Das ist ein sehr pikantes Thema. Weshalb 13 der 14 Mitbewerber es vorsichtshalber auf die Zeit nach Schließung der Wahllokale vertagen wollen. Uspaskich ist nämlich nicht nur ein begnadeter Populist, der seinen WählerInnen das Blaue vom Himmel verspricht und dabei von Familien mit Kindern bis zu RentnerInnen keine Zielgruppe vergessen hat. Viktor Uspaskich ist auch noch vielfacher Millionär, gilt als reichster Mensch des Landes und hat diesen Reichtum vorwiegend über Erdgasgeschäfte mit Russland und andere oft nicht ganz durchsichtige Deals im Zusammenhang mit der Privatisierung der exsowjetischen litauischen Wirtschaft gemacht. Wobei er ganz klein mit Gurken anfing. Seitdem ist Uspaskich „Agurkich“, und die „Gurke“ hängt dem russischstämmigen Geschäftsmann als Spitzname an.

Die bisherige Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Sozialliberalen unter Ministerpräsident Algirdas Brazauskas wird ihre bequeme Mehrheit von derzeit 82 der 141 Parlamentssitze wohl verlieren. Der Koalition, die unter der gemeinsamen Liste „Wir arbeiten für Litauen“ antritt, werden weniger als 20 Prozent vorausgesagt. Zwar kann die Regierung mit beeindruckenden Wirtschaftskennzahlen aufwarten, die Litauen den Titel der „schnellstwachsenden“ europäischen Wirtschaft und des „baltischen Tigers“ einbrachten. Doch diese Zahlen sind relativ, und zu viel von diesem Wachstum bleibt offenbar bei zu wenigen hängen.

Das durchschnittliche Arbeitseinkommen liegt bei 354 Euro, der Mindestlohn beträgt 145 Euro und manch RentnerIn muss mit deutlich weniger auskommen. In vielen ländlichen Gebieten liegt die Arbeitslosenrate bei über 25 Prozent. Wenn die seit 2001 regierende Koalition angesichts dieser Bilanz nun plötzlich für die kommende Legislaturperiode in ihrem Wahlprogramm gleich beinahe eine Verdoppelung der Löhne, eine Vervielfachung der Pensionen und keine höhere Arbeitslosigkeit als 8 Prozent verspricht, so trägt dies kaum zu ihrer Glaubwürdigkeit bei. Nach einer aktuellen Umfrage haben sowieso nur 16 Prozent der LitauerInnen Vertrauen in ihr Parlament und die PolitikerInnen.

Noch bei keiner Wahl seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1990 ist in Litauen eine Regierung in ihrem Amt bestätigt worden. Auch am Sonntag – die Stichwahlen in Wahlkreisen ohne absolute Mehrheit bei den Direktmandaten finden am 24. Oktober statt – dürfte sich das nicht ändern. REINHARD WOLFF