Vom Flughafen direkt ins Gefängnis

Russlands Geheimdienst FSB verhaftet den Geschäftsmann und Yukos-Konzernchef Michail Chodorkowsky – angeblich wegen Diebstahls und Steuerhinterziehung. In Wirklichkeit versucht der Kreml damit, den Multimilliardär politisch auszuschalten

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Endstation Nowosibirsk: Am Samstagmorgen wurde Russlands reichster Mann, Michail Chodorkowsky, vom russischen Geheimdienst FSB in der sibirischen Stadt festgenommen. In Sachen Steuerhinterziehung, verlautet es aus der Staatsanwaltschaft, gebe es neue Fragen an den Chef des Yukos-Konzerns. Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft die Räume einer PR-Agentur durchsuchen lassen, die die von Yukos unterstützte demokratische Partei Jabloko im Dumawahlkampf betreut.

Für Chodorkowsky wird es enger. Im Juli hatte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Yukos und die Tochtergesellschaft Menatep aufgenommen. Seither sitzt der Aktionär und Miteigentümer Platon Lebedew in Untersuchungshaft. Betrug, Steuerhinterziehung und Mord werden ihm zur Last gelegt.

An Michail Chodorkowsky wagte sich die Staatsanwaltschaft bisher nicht direkt heran und beließ es mit Vorladungen zur Einvernahme. Zur letzten Anhörung am Freitag war er nicht erschienen. Damit rechtfertigte die Anwaltschaft die Aktion in Nowosibirsk. Die Vorladung war ihm erst am Donnerstag in Moskau zugestellt worden.

Mit der gestrigen Anklageerhebung gegen den Milliardär legten die Strafverfolgungsbehörden alle Karten auf den Tisch. Die Anklage wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall, Steuerhinterziehung und Verstößen gegen vier weitere Artikel des Strafrechtskodexes kommt einem Todesurteil gleich.

Dass dies ohne Zustimmung des Kremlchefs geschehen sein sollte, ist unwahrscheinlich, da die Justiz in Russland nur auf Geheiß der politischen Führung tätig wird. Die Aufklärung von Straftaten ist bestenfalls ein propagandistisches Nebenprodukt mit Blick auf die Dumawahlen im Dezember. Im Fall Yukos vermischen sich politische und besitzstandsrechtliche Motive. Nicht grundlos nennen die Russen die junge Mannschaft um Präsident Wladimir Putin die „hungrigen Wölfe aus Petersburg“, die meinen, auch noch ein Anrecht auf den Kuchen zu haben. Wichtiger indes: Die politischen Ambitionen Chodorkowskys beunruhigen den Kreml. Denn er hatte angedeutet, 2008 für die Präsidentschaft kandidieren zu wollen. Darin muss die Entourage um Putin eine Bedrohung sehen. Chodorkowsky hatte Yukos’ Unternehmenspolitik auf Transparenz umgestellt und einen westlichen Führungsstil eingeführt. Würde er dieses Prinzip auch in der Politik verfolgen, beendete dies die byzantinische Vetternwirtschaft im Kreml.

Darüber hinaus unterstützte Chodorkowsky die demokratischen Parteien Jabloko, Union der Rechtskräfte und wohl auch die Kommunisten als Gegengewicht gegen die alles beherrschende Kremlpartei Einiges Russland in der Duma. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass am Donnerstag 25 Ermittler des Inlandsgeheimdienstes FSB und der Staatsanwaltschaft das Büro der Werbeagentur ASC stürmten, die die Jabloko-Wahlkampfstrategie entworfen hat. Die Ermittler beschlagnahmten fünf Computer und „vertrauliche Informationen über Konzept, Strategie und Durchführung unseres Wahlkampfes“, sagte Parteivize Sergej Mitrochin.

Es wäre ein schwerer Schlag, sollten diese Informationen in die Hände der politischen Gegner fallen – wohl das Ziel der Aktion. Der Kreml will den Einzug selbst einer noch so kleinen Gruppe von Kritikern in die Duma verhindern. Bisher hat der Kreml seine Gegner durch finanz- und eigentumsrechtliche Tricks ausgehebelt. Nun geht er mit Brachialgewalt gegen politische Opponenten vor.