Montags: Forum! (7)
: Arbeitsdienst statt Arbeitsplätze

Montags streitet der Norden über die Sozialreform: Gruppen unterschiedlicher Couleurs gehen gegen Hartz IV auf die Straße – heute voraussichtlich in Braunschweig, Bremen, Bremerhaven, Celle, Delmenhorst, Flensburg, Göttingen, Goslar, Hamburg, Hameln, Heide, Itzehoe, Kiel, Lübeck, Oldenburg, Osnabrück, Peine, Rostock, Stralsund, Waren, Wilhelmshaven und Wismar. Aber eine Demo ist kein guter Platz fürs Argumentieren. In der taz-Nord-Serie Montags: Forum! beziehen deshalb Experten und Engagierte Stellung zum Um- oder Abbruch des Sozialstaats. Heute: Dirk Hauer, Sozialpolitische Opposition Hamburg

Die grün-rot-schwarz-gelben PropagandistInnen von Hartz IV nehmen den Mund voll: „Umfassende Arbeitsangebote“ wollen sie machen. Doch um reguläre, tarifierte und Existenz sichernde Arbeitsverhältnisse auf dem ersten Arbeitsmarkt wird es sich dabei nicht handeln. Hartz IV soll und kann keine vernünftigen Dauerarbeitsplätze für fünf bis sechs Millionen Erwerbslose produzieren.

Aber auch die bisherigen Instrumente der aktiven Arbeitsmarktpolitik wie etwa ABM sind politisch nicht gewollt. Was unterm Strich letztlich bleibt, ist die „gemeinnützige Arbeit“. 600.000 bis 700.000 dieser Pflichtarbeitsverhältnisse sollen bundesweit eingerichtet werden, 10.000 allein in Hamburg. 6,3 Milliarden Euro will der Bund dafür ausgeben, 170 Millionen Euro fließen davon in die Hansestadt, und die Wirtschaftsbehörde will noch einmal 97 Millionen Euro draufpacken.

In der offiziellen Sprachregelung sind das „Arbeitsplätze“, und auch in der Arbeitslosenstatistik werden die 1-Euro-JobberInnen zukünftig nicht mehr auftauchen. Dabei handelt es sich bei diesen Tätigkeiten keineswegs um „ordentliche Arbeit“, ja es sind noch nicht einmal „Jobs“: Diese „Arbeitsgelegenheiten“ begründen kein Arbeitsverhältnis, sie finden ohne Arbeitsvertrag statt, sie sind nicht tarifiert, sie werden nicht entlohnt, die Beschäftigten besitzen nicht die normalen ArbeitnehmerInnenrechte und können zwangsverpflichtet werden. Die 1-Euro-Jobs dienen nicht der Integration in den ersten Arbeitsmarkt, sondern der Sanktionierung und der Überprüfung der „Arbeitswilligkeit“. Kurzum: Sie sind der Einstieg in eine neue Form von Arbeitsdienst.

Die 1-Euro-Tätigkeiten sollen „gemeinnützig“ und „zusätzlich“ sein. Folgt man Koryphäen wie der Hamburger Sozialsenatorin Schnieber-Jastram oder dem BDI-Präsidenten Michael Rogowski, so ist heutzutage schon die Bereitstellung eines Arbeitsplatzes an sich eine soziale und damit gemeinnützige Tat. Und auch die „Zusätzlichkeit“ wird gleichsam täglich produziert: Der Kahlschlag in allen Bereichen des sozialen Hilfesystems, die Ausdünnung von Leistungskatalogen, jede Entlassung und jede geschlossene Einrichtung schafft neue „Zusätzlichkeiten“, mit der 1-Euro-Tätigkeiten in diesen Bereichen gefordert und begründet werden. ErzieherInnen, die bei der Schließung ihrer Kitas arbeitslos werden, sollen nach einem Jahr Erwerbslosigkeit dieselbe Arbeit in einer anderen Einrichtung oder als Tagesmutter erledigen – erzwungenermaßen und für 1 Euro die Stunde. Entlassene KrankenpflegerInnen arbeiten anschließend für 1 Euro in irgendwelchen Pflegediensten, erwerbslose MaschinenschlosserInnen oder LandschaftsgärtnerInnen leiten für 1 Euro in Beschäftigungsprojekten Jugendliche an – die dort ihrerseits auf 1-Euro-Basis arbeiten. Der Spirale des Lohndumpings und der Entwertung von Qualifikationen sind keine Grenzen gesetzt.

Ganz Schlaue rechnen einem dann gerne vor, dass alles doch nur halb so schlimm sei, schließlich würden doch die neuen ZwangsdienstlerInnen genauso viel verdienen wie zum Beispiel eine Verkäuferin bei Aldi. In dieser Milchmädchenrechnung wird nicht nur der eine Euro zum „Lohn“, sondern gleich das ganze ALG II. Damit kommt die ganze perfide Logik von Hartz IV auf den Punkt: Der gesetzliche Euphemismus der „Grundsicherung“ entpuppt sich als Entgelt für eine zu erbringende Gegenleistung. Alle PolitikerInnen von den Grünen bis zur CDU sind sich einig: Das Existenzminimum ist hierzulande kein Grundrecht, man muss es sich vorher erst einmal verdienen. Früher hieß das mal: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“ Das klang zwar irgendwie herzlos, war aber wenigstens ehrlich. Dirk Hauer