wann war wales? von RALF SOTSCHECK
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Der Waliser hatte noch nie viel zu lachen. Nicht genug, dass Edward I. im Jahr 1283 David III., den letzten einheimischen Prinzen von Wales, hinrichten ließ und den Titel dem britischen Thronfolger zuschanzte, was in Anbetracht des derzeitigen peinlichen Prinzen besonders schmerzhaft ist. Dann sterben dem Waliser die meisten der über alles geliebten Schafe an der Maul- und Klauenseuche, die vom verhassten Nachbarn geschickt worden war. Und nun lässt Brüssel auch noch das ganze Land verschwinden.

Das von Gwyn A. Williams verfasste Standardwerk über die walisische Geschichte heißt „Wann war Wales?“ Jetzt muss ein neuer Band her: „Wo ist Wales?“ Das statistische Jahrbuch für das Jahr 2005, das die Europäische Union vorige Woche veröffentlichte, enthält auf dem Umschlag eine Landkarte der EU mitsamt den zehn neuen Mitgliedsstaaten. Doch Wales gibt es darauf nicht. Wo es bisher lag, fließt die Irische See: von Chester im Norden bis Cornwall im Süden nur blaues Wasser.

Ein kleines Versehen, behaupten die Brüsseler Beamten. Aber es ist Absicht: Irgendjemand hat das kleine Land im Westen Großbritanniens herausgeschnitten – aus Rache an den Tories. Michael Howard, Chef der britischen Konservativen, hatte vorige Woche auf dem Parteitag im südenglischen Bournemouth gegen die EU gewettert und versprochen, dass er Brüssel entmachten wolle, falls er nächstes Jahr zum Premierminister gewählt werde, was allerdings so wahrscheinlich ist wie ein walisisches Schaf auf einem Fahrrad. Howard stammt aus Süd-Wales, und da hat ein EU-Beamter geschwind das Land des Tory-Chefs mit einem Mausklick ausradiert, bevor das Buch in Druck ging.

Die Europa-Abgeordnete Glenys Kinnock, die ebenfalls aus Wales stammt und mit dem früheren Labour-Chef Neill Kinnock verheiratet ist, was eigentlich Strafe genug ist, sprach von einer „schockierenden Unterschlagung“. Aber sie versichert: „Die werden uns nicht noch einmal vergessen!“ Was hat sie vor? Will sie eine Schafherde durch das Europäische Parlament treiben?

Walisische Historiker betonen, dass Wales einen bedeutenden Beitrag zur europäischen Kultur und Wirtschaft geleistet habe. Man denke, so schrieben sie, an den Dichter Dylan Thomas, an Schafwolle, an den Fußballer Ryan Giggs, an Schaffleisch, an den Schauspieler Richard Burton, an Schafspelze.

Die Historiker stellten in Brüssel den Antrag, das Land wieder herauszurücken. Ein walisischer Fußballfan, der Jones heißt, wie die meisten Waliser, glaubt dagegen an eine englische Verschwörung wie bei der Hinrichtung Davids und der Dezimierung der Schafe, weil England am Samstag ein Qualifikationsspiel zur Fußball-Weltmeisterschaft gegen Wales bestreiten musste.

„Sie können uns nur schlagen, wenn sie unser Land verschwinden lassen“, sagte Jones, und so kam es dann auch: England gewann 2:0.

Wohin ist Wales eigentlich verschwunden? Zuletzt wurde es in Richtung Karibik treibend gesehen, meinte ein gehässiger EU-Beamter und fügte hinzu: Dort seien die Nachbarn netter und das Klima besser als an dem bisherigen Standort des Landes. Da werden die übrig gebliebenen Schafe aber ganz schön ins Schwitzen kommen.