Dem Saufteufel ein Ende

Tee ist Ritual, Luxus, Grundnahrungsmittel und seit 1530 auch die lang ersehnte Alternative zum Hamburger Bier. Das Ostfriesische Teemuseum in Norden dokumentiert diese Kulturgeschichte des Tees – und ist damit fast einzigartig in Europa

aus Norden THOMAS SCHUMACHER

Die ostfriesische Stadt Norden ist Touristen bekannt als lästiges Hindernis auf der Rennstrecke zu den Inseln Juist, Norderney oder Baltrum: Man muss den großen Marktplatz der Stadt umkurven. Tut man dies, verpasst man allerdings die herzzerreißende Geschichte des Tees. Die ist nämlich dokumentiert im alten Rathaus am Markt.

Dort befindet sich das Ostfriesischen Teemuseum, laut Prospekt, das einzige Spezialmuseum dieser Art in Europa. Was nicht ganz stimmt: Gleich neben dem Ostfriesischen Teemuseum befindet sich das „Teemuseum – Sammlung Oswald von Diepholz“. Beide gehörten vor 1989 zusammen. Dann haben sie sich im Streit getrennt.

Die Gründe dafür liegen im Sumpf regionaltypischer Vereinsmeierei. Sei’s drum. Das Ostfriesische Teemuseum jedenfalls bekommt die für ostfriesische Verhältnisse unvorstellbare Summe von 750.000 Euro, um umzubauen, anzubauen und neu zu bauen. „Man kann nicht stolz alles zeigen, was man zum Thema hat. Wir müssen Struktur ins Museum bekommen und die Arbeit professionalisieren“, sagt Marion Roehmer, Archäologin und Leiterin des Ostfriesischen Teemuseums.

20.000 Gäste im Jahr geben den Nordern Recht. Neben der Präsentausstellung leisten sie sich pro Jahr zwei Sonderausstellungen („Teetrinken in der Sahara – Über die Tuareg“). Auf drei kleinen Etagen werden Entwicklungs-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte des Tees dokumentiert. „Uns interessiert wie Tee den Alltag der Menschen verändert hat“, so Roehmer.

Und dieser Frage lässt sich nirgends besser nachgehen, als in Norden: Von militanten Kaffeetrinkern umzingelt, konsumieren Ostfriesen bis zu zehnmal mehr Tee als andere. „Drei Mal ist Ostfriesenrecht“, heißt es. Solange der Tee genossen wird, ist der Gast im Haus des Gastgebers sicher.

Drei kleine Tassen dauert es, bis der grobe Kandis, das Kluntje, sich im Heißgetränk aufgelöst hat. Tee wird nie geschüttelt oder gerührt – der kleine Teelöffel liegt nur zur Dekoration auf dem Tisch. Denn Ostfriesen möchten zeigen, dass auch sie über vollständigen Service verfügen. Legt man den Löffel in die Tasse, heißt das: „Ich kann keinen Tee mehr.“

Warum sind Teetassen nichts für Grobmotoriker? „Als im 17. Jahrhundert die ersten Teeservice nach Europa kamen, galten sie als das Nonplusultra der chinesischen Teekultur. Europa nahm das Service der Kang Xi Kultur als Abbild allen Chinesischen. Die zarten Schalen aus Porzellan, so glaubte man, seien die Zelle jeglicher Teekultur. In China war das allerdings nur eine Mode unter vielen“, so die Museumsleiterin. Aber schon bald traten Missverständnisse auf. Chinesen verstanden deutsche Aufträge nicht, deutsche interpretierten chinesische Dekorzeichen falsch. So wurde aus dem chinesischen Holzschnitt der „indianischen Blume“ die „deutsche Rose“.

Etwa 1610 kamen die ersten Teeblätter über Japan nach Europa und dienten dort dem Adel als Luxusgut. Richtig populär wurde Tee erst ab dem 19. Jahrhundert – dafür gibt es drei Gründe: Der Konkurrenzkampf zwischen denNiederlanden und England trieb den Preis nach unten. Die technisch weiterentwickelten Schiffe verteilten immer größere Mengen noch schneller auf den internationalen Märkten. Das Entscheidende aber: Zucker bekam als Nahrungsmittel eine immer größere Bedeutung. Zuletzt suchten die Herrschenden eine Trinkalternative fürs Volk, denn das drohte im Suff zu versinken.

Lutheraner wetterten während der Reformationszeit nicht nur gegen Katholen, sondern auch gegen den „Saufteufel“. „Die Frauen sind schön, zum Teil aber dem Trunke ergeben und oft sogar schwer berauscht vom Hamburger Bier“, berichtet der Emder Bürgermeister Henricus Ubbius 1530. Das Wasser in der Region war brackig ungenießbar. Bier hingegen war Grundnahrungsmittel. Tee in Verbindung mit Zucker und einer Scheibe Brot ersetzte das Bier als vollwertiges Gericht.

Trotzdem wollte Friedrich der Große das Getränk verbieten. Die Einfuhr aus England ärgerte ihn. Sein Verbot ließ den schlummernden Berufszweig der Piraten und Schmuggler wieder aufblühen. Als während des Zweiten Weltkrieges Teeengpässe in Ostfriesland auftraten, organisierten die Einwohner eine Tauschstraße „Speck gegen Tee“ ins Ruhrgebiet.

Ebenso subversiv gingen englische Auswanderer mit ihrem Nationalgetränk um: Nachdem das Mutterland sie mit horrenden Teesteuern belangte, plünderten sie 1773 im Bostoner Hafen Teeschiffee und lösten mit der „Boston Teaparty“ den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aus.

Wie öde dagegen die europäische, bürgerliche Teekultur war, demonstriert die französische Karikatur über den Event eines Tanz-Tees im 19. Jahrhundert: „Ich langweile mich, du langweilst dich, er sie es langweilt sich.“

Ostfriesisches Teemuseum Norden, Am Markt 36. Öffnungszeiten: Di bis So 10-16 Uhr. Kontakt: www.teemuseum.de oder ☎ 04931 - 12 100Teemuseum Sammlung Oswald von Diepholz, Am Markt 33. Öffnungszeiten: täglich 14-18 Uhr. Kontakt: ☎ 04931 - 138 00. Beide Museen ändern ihre Öffnungszeiten ab 3.11. – die Urlaubssaison ist vorbei!