Weniger Flüchtlinge – auf dem Papier

„Willkür der Ausländerpolitik“: Aus Angst vor der Behörde werden Flüchtlinge zu „Illegalen“ – ohne Recht auf Arbeit, Gesundheit und Ausbildung. Der Hamburger Senat macht Beratungseinrichtungen dicht und nennt dies „Umstrukturierung“

Von Sebastian Siegloch

„Das Tor zur Welt“: Diesen Titel hört der weltoffene Hamburger gerne über seine Stadt. Wenn jedoch Fanny Dethloff an die Toleranz gegenüber Ausländern in der Hansestadt denkt, spricht sie eher vom „Rückfall in Provinzialismus und Inkompetenz in einer Großstadt“. Dethloff ist Flüchtlingsbeauftragte bei der Nordelbischen Kirche. Was in Hamburg teilweise mit Flüchtlingen passiere, könne man durchaus als „Rassismus“ bezeichnen. Die „Willkür der Ausländerpolitik“ verunsichere die Flüchtlinge und treibe sie in die Illegalität, so die Pastorin.

Der gleichen Meinung ist auch Cornelia Gunßer vom Flüchtlingsrat: Die Flüchtlinge hätten meist keinen anderen Ausweg als unter- und nicht wieder aufzutauchen. Besonders mit den Mitarbeitern der Hamburger Ausländerbehörde geht sie dabei hart ins Gericht. Sie würden keine Atteste anerkennen, die Flüchtlinge wieder und wieder zur Duldungsverlängerung vorladen, sie bei den Vorladungen verhören und unter Druck setzten. Das Resultat: „Die Flüchtlinge haben Angst vor der Behörde und gehen nicht mehr hin.“

Damit werden sie zu so genannten „Illegalen“, Flüchtlingen ohne gültige Papiere, Menschen ohne anerkannte Identität. Fanny Dethloff schätzt ihre Zahl in Hamburg auf 100.000 bis 150.000 und nennt ein Beispiel: „Von 22.000 Afrikanern in Hamburg hat nur etwa die Hälfte Papiere.“ Doch was passiert mit den Papierlosen? Jörg Alt ist Migrationsforscher und arbeitet für den Berliner Jesuiten-Flüchtlingsdienst. Er sieht die Probleme besonders bei den drei Grundrechten, die jedem zustehen: Das Recht auf bezahlte Arbeit, das Recht auf Gesundheit und das Recht auf Ausbildung würde durch den Status der Illegalität ausgehebelt, so Alt.

Doch: „Zum Glück gibt es auch ein Leben außerhalb von Hamburg“, sagt Alt und spielt damit auf die Flüchtlingssituation in München an. Diese hat er in einer Fallstudie untersucht. Das Ergebnis: München sei weiter als alle anderen deutschen Städte – und viel weiter als Hamburg. Der rot-grüne Münchener Stadtrat hat gegen die Stimmen von CSU und Republikanern beschlossen: Schulen dürfen auch papierlose Flüchtlingskinder einschulen, und medizinisches Personal ist zunächst zum Helfen da. Damit sorgen die Bayern auch bei den Medizinern für Rechtssicherheit. Denn wie soll sich ein Arzt verhalten, der einen erkrankten „Illegalen“ in seinem Wartezimmer sitzen hat? Hilft er ihm, verstößt er gegen seine Meldepflicht und macht sich strafbar. Behandelt er ihn nicht, verstößt er gegen den hypokratischen Eid.

Was macht also die Hamburger Politik gegen die Flüchtlingsprobleme? Flüchtlingsheime werden „umstrukturiert“ und teilweise geschlossen. Die vom neuen Zuwanderungsgesetz geförderte Sozialberatung vor Ort wurde abgeschafft. Der Posten „Ausländerbeauftragte“ wurde gestrichen. Soziale Einrichtungen werden nicht mehr gefördert: Die Beratungsstelle „Afrikanische Union“ erhält seit 2003 keine öffentlichen Gelder mehr und steht vor dem Aus. Auch das Projekt „Accept“ für traumatisierte Kriegs- und Folteropfer bekommt ab nächstem Jahr keine Zuwendungen mehr. Das Psychosoziale Betreuungs- und Behandlungszentrum für Flüchtlinge wurde seit Mitte der 80er Jahre vom Senat gefördert. Ende des Jahres wird es geschlossen.

Als „vertretbar“ bezeichnete die Sprecherin der Sozialbehörde, Anika Wichert, den Schritt: Die Flüchtlingszahlen sänken, und die Kassen seien klamm. „Accept“-Leiterin Naciye Demirbilek: „Für die Flüchtlinge wird es schwer, sich in der psychosozialen Standardbetreuung zurechtzufinden, dort ist kein Sozialarbeiter dabei.“ Außerdem helfe das Zentrum, wie viele soziale Anlaufstellen, bei rechtlichen Verwaltungsfragen der Flüchtlinge. Demirbilek vermutet: „Viele werden in Zukunft einfach nicht mehr bei der Ausländerbehörde auftauchen.“ Der Schritt in die Illegalität sei vorprogrammiert. Wie gesagt: Die Flüchtlingszahlen in Hamburg sinken – zumindest auf dem Papier.