Bombastisch plastisch

Eine Stadt für Futuristen: Der Fotoband „Berlin – City in Space“ von Tobias Madörin zeigt extrem hübsche Architektur und verschwenderisches Design der Sechziger- und Siebzigerjahre in Berlin

Die ewigen Berlin-Hasser sollen sich jetzt mal warm anziehen

VON JENNI ZYLKA

Es gibt jene ewigen Berlin-Hasser, die noch immer behaupten, in Berlin seien die Menschen unfreundlich (dabei beschränkt sich das auf Neukölln und die BVG), man könne hier nicht gut essen (dabei ist das ja wohl nur in der Touristenabzocke Mitte der Fall) und überhaupt sei die Stadt hässlich. Alles Quatsch, wissen wir, die wir täglich zuckersüßen türkischen Obstverkäufern begegnen, schnieke Restaurants kennen und mit offenen Augen durch die Stadt schlendern.

Denn Berlin ist natürlich an ganz vielen Ecken extrem hübsch. Man muss sich nur die Menschen, die Tauben und die Hundescheiße wegdenken. Einen Beweis dafür gibt es jetzt endlich als Buch: Der Fotograf Tobias Madörin hat für „Berlin – City in Space“ Gebäude gefunden, an denen man täglich vorbeikommt und wahrscheinlich täglich vorbeiguckt – der Bildband ehrt das Besondere, das im Alltäglichen sitzt, Kunst, die man benutzen kann.

Die Mohren-Apotheke an der Grimmstraße in Kreuzberg mit den wunderbar breiten, mit abgerundeten Ecken versehenen, tief in die Fassade eingelassenen Fensterrahmen, ein Schmuckstück von 1968, hat er fotografiert, und die terassenförmige, futuristisch-freizeitlich gestaltete Autobahnüberbauung an der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf, die „Schlange“, die durch den Hochbau als Vorzeigeobjekt für Städte mit knappem Bauland gilt.

Er hat die schönsten Berliner Schwimmbäder herausgesucht, und die elegantesten Kinos; den prunkvollen, zwischen den Vierziger- und Achtzigerjahren gestalteten Sälen vom Royal Palast, dem Filmpalast, dem Sojus, dem Colosseum, natürlich auch dem bereits für diverse Musikvideodrehs und Fotosessions entdeckten International stellt er allgemein bekannte und geschätzte Kulturbauten wie die Philharmonie, das Bauhaus-Archiv, die Deutsche Oper und die Neue Nationalgalerie gegenüber – und die bislang architektonisch höchstens von Eingeweihten geliebten Gebäude bieten den Klassikern mit den großen Namen Paroli. Unter der Erde geht die Berliner Kunst am Bau weiter – Madörin hat die vor allem an den Enden mit viel Liebe und Retro-Stil in den Siebzigern gestalteten Bahnhöfe der Linie 7 aufgenommen, die Station „Siemensdamm“ voll orangefarbenem Plastikcharme, den an „2001 – Odyssee im Weltraum“ erinnernden „Fehrbelliner Platz“, und das alles ohne eine einzige Kippe auf dem Boden.

Bars und Kneipen hat er besucht, das Big Eden und das Café Moskau, die Raststätte Dreilinden, die 1973 aufgebaut wurde und heute geschlossen ist, und noch nie stellte sich das kubistische „Turmrestaurant Bierpinsel“, dessen Name normalerweise eher zum rückwärts Rauslaufen animiert, so schön, edel und so voll Sechzigerjahre-Esprit dar – plötzlich scheint Steglitz eine Architekturreise wert. Interessant ist vor allem, wie die aus- und heruntergelatschten, stark frequentierten und übersehenen Findlinge gegen die aus unzähligen Schriften bekannten Designklassiker anstinken: Der niedliche Shop „Die Perücke“ gegen das „Futuro“-Haus von Matti Suuronen, ein campinghausgroßes Ufo, das nach jahrelangem Dümpeln auf schmuddeligen Hinterhöfen im maroden Spreepark endlich von jemandem mit Geschmack gekauft wurde und nun ab und an und mit viel Glück als Party- und Ausstellungslocation herhält.

Oder die Eingangshalle des Vorzeigeobjekts ICC gegen die der Diesterweg-Oberschule in Mitte mit der Decke aus Sechzigerjahre-Elementen und den riesigen orangefarbenen Treppen. Sozialistischer Zukunftsglaube mischt sich auf den Fotos mit kapitalistischem Investitionsdenken, Rationalismus mit spielerischer Verschwendungslust. Die Tour, die Madörin vorschlägt, kann man mithilfe eines kleinen Stadtführers (in weiser Voraussicht in drei Sprachen) nachlaufen und -fahren, er enthält alle Angaben zu Bau, Nutzen und Geschichte der Motive.

Auf keinem der umfassend und bewusst ausgeleuchteten Bilder sind Menschen – sie würden die kühl arrangierte Schönheit der Space-Impressionen auf den schmutzigen Boden der Tatsachen zurückholen. Man möchte auch niemanden sehen auf den Postermotiven, nicht den schlaumeiernden Taxifahrer, der einen ungefragt mit seiner eigenen Big-Eden-Geschichte nerven würde, und auch nicht die dubiosen Regierenden von Ex-Ost und West in ihren Staatsgebäuden.

Außerdem hat der Fotograf darauf verzichtet, Berlins zahlreiche Baufehler, in den Sand gesetzte Ideen, die schlecht oder gar nicht renovierten denkmalgeschützten Gebäude und andere städteplanerischen Skandale zu kommentieren. Er hat sich stattdessen an die Vergangenheit, so wie sie war, gehalten, ist allein nach Geschmack und nicht nach Architektendünkel gegangen.

So hat Madörin einen Ort wie aus einem Lem-Buch oder einer „Raumschiff Enterprise“-Episode entworfen – ein Berlin für Futuristen und Freunde einer herzhaften Retro-Architektur. Er macht aufmerksam auf Schätze, die man beim Einkaufen, beim Ausgehen, beim Kinobesuch und auf dem Postamt umsonst mitnehmen kann. Und die ewigen Berlin-Hasser sollen sich schon mal warm anziehen und die Tomaten von den Augen nehmen, wenn sie sich das nächste Mal in dieser wunderschönen Stadt bewegen.

Tobias Madörin: „Berlin – City in Space. Architecture and Design from the 50s to the 70s“. Vice Versa Verlag 2004, 352 Seiten, 39,90 €, www.cityinspace.com