Bei den Wahlen in Litauen siegt der Protest

Klare Niederlage für Regierungsparteien. Neu gegründete Arbeitspartei liegt mit 28,6 Prozent der Stimmen vorn

STOCKHOLM taz ■ Viktor Uspaskich heißt der Sieger der Parlamentswahlen in Litauen. Seine neu gegründete „Arbeitspartei“ kam auf 28,6 Prozent der Stimmen. Er sicherte sich seinen Abgeordnetensitz gar mit einem Wahlkreisergebnis von 67 Prozent. Das sozialdemokratische Wahlbündnis „Arbeiten für Litauen“ der jetzigen Regierungsparteien stürzte von einer bisherigen absoluten Mehrheit mit 20 Prozent auf Platz zwei ab.

Die LitauerInnen blieben damit ihrer Wahltradition treu, die jeweiligen Regierungsmehrheiten alle vier Jahre auszutauschen. 1992 und 2000 hatten linksgerichtete Parteien gesiegt, 1996 die Konservativen. Im Gegensatz hierzu war die erste Wahl nach dem EU-Beitritt aber ein klares Misstrauensvotum gegen alle etablierten Parteien. Dafür spricht auch die niedrige Wahlbeteiligung von 45,9 Prozent (2000: 52,8 Prozent).

Eine weitere Protestpartei, die „Für Ordnung und Gerechtigkeit“ des Exstaatschefs Rolandas Paksas, wurde mit 11,6 Prozent viertstärkste Kraft. Erste Analysen zeigten, dass Uspaskich wie Paksas nicht nur auf dem Land, an dem der litauische Wirtschaftsboom oft spurlos vorbeigegangen ist, Stimmen sammelten, sondern mit dem Versprechen höherer Löhne und niedrigerer Steuern auch in der städtischen Arbeiterschaft.

Vor allem seit dem EU-Beitritt ist die Inflationsrate gestiegen und nähert sich zweistelligen Zahlen. Das niedrige Lohnniveau – ein Durchschnittsarbeiter hat gerade ein Zehntel seines deutschen Kollegen in der Lohntüte – konnte dem nicht folgen.

Unter die Kategorie Protestparteien muss auch die „Bauernpartei“ von Kazimiera Prunskiene gerechnet werden. Die erste Ministerpräsidentin des unabhängigen Litauens, die nach KGB-Vorwürfen in der politischen Versenkung verschwunden war, erzielte 6,6 Prozent. Das ergibt einen Stimmenanteil von 47 Prozent für die drei Protestparteien, die viele LitauerInnen wegen ihrer Nähe zu russischen Wirtschaftsinteressen als prorussisch oder gar „fünfte Kolonne“ Moskaus verdächtigen. Und bei sechs Parteien, die den Sprung über die 5 Prozent-Sperrklausel schafften, fast ein Patt.

Wenn am übernächsten Sonntag nach Stichwahlen in 66 der 71 Wahlkreise die endgültige Sitzverteilung in der „Seimas“ feststeht, wird Präsident Valdas Adamkus eine Schlüsselrolle zufallen. Er entscheidet, wem er den Auftrag für eine Regierungsbildung geben soll. Vor der Wahl war viel von einer breiten Anti-Uspaskich-Koalition die Rede. Diese erscheint nun aber wegen des schwachen Abschneidens der konservativen Parteien „Vaterlandsunion“ (14,5 Prozent ) und „Liberales Zentrum“ ( 9,1 Prozent) unwahrscheinlich. Mit seiner Ankündigung, nicht unbedingt das Amt des Ministerpräsidenten anzustreben, öffnete Uspaskich inzwischen auch den Weg zu einer Koalition seiner „Arbeitspartei“ mit der sozialdemokratischen Partei „Arbeiten für Litauen“.

REINHARD WOLFF

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