Union spuckt Gift und Galle

Merkel und Stoiber planen Kampagne gegen EU-Beitritt der Türkei. Heftige Kritik von allen Seiten, selbst aus der Union

BERLIN taz ■ Darf eine Partei mit Türkeihass und Ressentiments Wählerstimmen fangen? Deutschland ist mit einem Unions-Vorschlag konfrontiert: Das Volk soll per Unterschrift über einen türkischen EU-Beitritt abstimmen, fordern CDU-Chefin Angela Merkel und ihr CSU-Kollege Edmund Stoiber. Doch das lehnen neben Regierung und FDP selbst Unionspolitiker ab.

„Mit der Aktion will die CSU die bayerischen Stammtische ansprechen“, sagt Bülent Arslan, Vorsitzender des deutsch-türkischen Forums der CDU. „Sie richtet sich gegen ein ganzes Land – und gegen die Türken, die hier leben.“ Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach nannte die Aktion „missverständlich“. Merkel müsse die Pläne so schnell wie möglich fallen lassen, fordert auch Volker Rühe (CDU). Die Kampagne würde „zwangsläufig so aufgefasst: Die CDU lehnt die Türkei ab.“ FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper kritisierte die Aktion als „Populismus“, der liberale Innenexperte Max Stadler verwarf sie als „eine Waffe im parteipolitischen Kampf“, die unpassend gewählt sei: Die Bürger sollten besser in einem Volksentscheid über einen EU-Beitritt der Türkei entscheiden. Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) bezeichnete die Pläne gar als „Programm zur Revitalisierung von NPD und DVU“. Die Kampagne wäre auch innenpolitisch ein starkes Signal, weil sie Türken aus der deutschen Gesellschaft ausgrenze.

Die türkischen Gemeinde fürchtet ein Erstarken des antitürkischen Rassismus. „Das Volk stimmt gar nicht für oder gegen ein neues EU-Mitglied, sondern es entlädt Vorurteile“, befürchtet Safter Cinar vom Türkischen Bund Berlin-Brandenburg. Er verweist auf brennende Asylbewerberheime in den Neunzigern. „Wir alle wissen: In vielen Deutschen schwelen diese Vorurteile. Sie entladen sich aber vor allem dann, wenn ein Politiker sie salonfähig macht.“

Die türkische Regierung reagierte mit Unverständnis auf die Aktion und nannte sie eine „Fehldebatte“. Der türkische Botschafter in Berlin sprach von einer „aufgeheizten Kampagne“. Trotz aller Proteste will Angela Merkel bislang nicht von der Kampagne abrücken. Ein Grund dafür, so Jürgen Trittin: Bei der Hessen-Wahl 1999 habe sich ein solcher Populismus durchaus bewährt. Damals gewann der Unionskandidat Roland Koch nicht zuletzt dank einer Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Auch damals analysierten Experten: Den meisten der Unterzeichner ging es gar nicht um Sinn oder Unsinn zweier Pässe. Vielmehr empfanden sie die Aktion als „Abstimmen gegen Ausländer“. Laut Bülent Arslan aber wäre ein solches Zeichen sogar wahltaktisch unklug: Großstädte wie Berlin oder Köln werde die Union „ohne uns Türken nie gewinnen.“ COSIMA SCHMITT

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