Die große Angst vorm Halbmond

CDU-Landes-Chef Bernd Neumann will keine Unterschriften gegen Türken sammeln – spricht sich aber ebenso deutlich gegen EU-Beitritt aus. Damit stößt er 29.069 Bremer Bürger vor den Kopf, findet sein Parteifreund Önder Yurtgüven

Die Ablehnung wirkt auf viele Bremer Türken wie eine persönliche Kränkung

Bremen taz ■ So hört sich Frustration an: „Diese leidige Angelegenheit“, sagt Önder Yurtgüven – kaum ist das Kurzwort EU gefallen. Die aktuelle Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei „torpediert meine politische Arbeit“, findet er. Kein Wunder: Yurtgüven, deutscher und türkischer Staatsbürger – „ich durfte noch beide Pässe behalten“ – ist Mitglied der Bremer CDU. Dort hat er den Vorsitz des Fachausschusses Integration inne. „Seit 40 Jahren leben wir jetzt hier“, sagt er. Und dass er nicht für möglich gehalten habe, „dass sich die Fronten noch einmal so verhärten können“.

Auslöser dafür: die Debatte über den möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union, vor allem in der Spielart, wie sie von Yurtgüvens eigener Partei geführt wird. Zwar teilte der CDU-Landesvorsitzende Bernd Neumann gestern mit, man lehne „eindeutig“ die vom CDU/CSU-Führungsduo Angela Merkel und Edmund Stoiber propagierte „offene Unterschriftenaktion ab“. Durch diese würde nämlich, so Neumann weiter, „unnötigerweise die Thematik emotionalisiert“.

Der erste Satz seiner Erklärung aber lautet: „Die Bremer CDU ist gegen die Aufnahme von Verhandlungen mit der Türkei über eine Vollmitgliedschaft in der EU“. Man unterstütze weiterhin das Modell einer „privilegierten Partnerschaft“.

„Bei keinem Beitrittskandidaten“, so Yurtgüven, „hat es solche Sonderregelungen gegeben – nur bei der Türkei soll das so sein.“ Und zwar, wie er findet, „allein aus emotionalen Gründen, vielleicht weil wir Moslems sind“. Dass der Staat laizistisch sei, werde schlicht ignoriert. Und die Menschenrechtsfrage? „Bei Bulgarien war das überhaupt kein Thema.“

Dabei gilt auch der Schwarzmeer-Staat in dieser Frage keineswegs als mustergültig: So erwähnt Amnesty International die staatliche Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen in bulgarischen Heimen: „Die dortigen Bedingungen“, heißt es im aktuellen Länderbericht, „kamen in einigen Fällen der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung gleich.“ Auch seien „zahlreiche Berichte über polizeiliche Misshandlungen, die in einigen Fällen der Folter gleichkamen“, bekannt geworden. Voraussichtlicher Termin für den EU-Beitritt: kommendes Jahr.

Die christdemokratische Absage an einen Beitritt, warnt Yurtgüven, würden die in Bremen lebenden Türken sehr „persönlich nehmen“. Sie könne ja nur als Signal verstanden werden, nicht erwünscht zu sein. Was die vielfach beschworene Abkapselung noch verstärke: „Ich kann kaum noch mit den Leuten reden – ich erreiche die gar nicht, wenn ich sage, dass ich von der CDU komme.“

83.000 Bremer Bürger haben laut Landesamt für Statistik eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche. Aus der Türkei stammen davon 29.069 – rund dreimal so viele wie EU-Ausländer. „Wirkliches Verständnis“ könne er vor diesem Hintergrund für die von den Christdemokraten geführte Debatte „nicht aufbringen“, sagt Mustafa Güngör. Seine Position ist weit komfortabler als jene Yurtgüvens: Er ist stellvertretender Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Bremen Ost. Auch in der SPD-Basis gibt es mitunter Ressentiments. „Aber unsere Spitze setzt nicht auf derartige Tendenzen“, stichelt er. „Die Migranten in der CDU kann ich nicht verstehen“.

Rund 50 türkischstämmige Mitglieder habe die Bremer CDU, „es könnten mehr sein“, sagt Yurtgüvens. Und: Nein, die Frage, ob er in der richtigen Partei sei, stelle sich für ihn nicht. „Trotzdem.“ Er sei ein Mensch mit konservativen Werten. Gerade jetzt, findet er, sei er „notwendig in der Partei. Ich leiste dort Aufklärungsarbeit.“

Benno Schirrmeister