Misstrauen gegen Staat und muslimischen Rat

Die jungen Muslime in England haben Probleme mit ihrer Identität. Erwartungen an die islamischen Organisationen im Land haben sie kaum, denn mit deren Funktionären verbindet sie nichts. Ein Stimmungsbild aus Großbritannien

„In den meisten unserer Moscheen haben sie keine Ahnung, was draußen los ist“, sagt Fareena Alam, eine muslimische Journalistin. „Wenn der muslimische Rat von Großbritannien die Gemeinde dazu aufruft, alles Verdächtige zu melden, dann ist das in den Augen der meisten britischen Muslime eine schwere Beleidigung.“ Die jungen britischen Muslime haben immer mehr Probleme mit ihrer britischen Identität. Sie sind zwar in Großbritannien geboren, aber sie misstrauen den staatlichen Institutionen zutiefst. Kein Wunder, meint Alam: „Die Polizei hält Muslime ohne Anklage fest, das Justizsystem kann die eigenen Regeln umgehen, und die Medien sind erbarmungsglos.“

Von den muslimischen Organisationen in Großbritannien erwarten sich die Jugendlichen nichts. Die werden fast ausnahmslos von Männer mittleren Alters geleitet, die zur ökonomischen Elite gehören und der Regierung nahe stehen. Die meisten von ihnen stammen aus dem Ausland, vor allem aus dem Nahen Osten, sie haben keine Vorstellung davon, wie die jungen Muslime leben. Von denen ist eine überdurchschnittlich große Zahl arbeitslos, lebt in Armut und hat eine schlechte Ausbildung.

„Immer weniger junge Leute gehen in die Moscheen, um sich im Islam unterweisen zu lassen“, sagt Alam. „Sie rennen stattdessen in die Buchläden und besorgen sich merkwürdige Bücher über den Islam oder holen sich noch merkwürdigere Ideen aus dem Internet.“ Auch Osama Saeed vom Muslimischen Rat Großbritanniens sagt, dass die Vorstellungen von Moscheen als Zentren des Terrorismus ein Mythos seien. „Ich habe noch nie einen Terroristen getroffen, der in einer Moschee rekrutieren wollte“, sagt er.

Die jungen Leute bleiben aus den Moscheen weg. „Die Qualität der Ausbildung in unseren Moscheen ist vollkommen inadäquat“, sagt denn auch ein Sprecher der Kampagne für Rassengleichstellung. „Ich schäme mich, zugeben zu müssen, dass die Führung der muslimischen Gemeinde unsere jungen Leute im Stich gelassen hat.“

Die Imame bestreiten das nicht nur, sondern beschimpfen muslimische Kritiker als „Nestbeschmutzer“. Die Behauptung, dass unter den Jugendlichen die Militanz zunimmt, werde von islamophoben Journalisten aufgestellt, die nur ihre Karriere im Sinn haben und sich die Vorurteile der Bevölkerung zunutze machen, erklärte auch der Muslimische Rat.

Er ist das moderate Gesicht des Islams und kann deshalb auch so manches Zugeständnis herausholen. So setzte der Rat durch, dass muslimische Frauen auf den Personalausweisen, die in Großbritannien eingeführt werden sollen, kein Passfoto einreichen müssen. Es genügen Fingerabdrücke und Daten zur Iriserkennung, sagte Innenminister David Blunkett: „Wir hatten konstruktive Diskussionen mit der muslimischen Bevölkerung und versichern, dass wir ihre Meinung ernst nehmen.“

Die konstruktive Diskussion habe Minister Blunkett eben nicht mir der muslimischen Bevölkerung geführt, sondern mit der selbst ernannten Führung in den Moscheen, sagte eine junge Muslimin aus Bradford zur taz und fügte hinzu: „Ich laufe nicht verschleiert herum, von mir aus können sie auch ein Foto von meinem Hintern in den Pass kleben. Es wird langsam Zeit, dass sich jemand um die wahren Probleme kümmert, mit denen wir uns Tag für Tag herumschlagen müssen.“

RALF SOTSCHECK