Schon wieder gescheiterte Utopien

Der neue Leiter des Hamburger Kunstvereins, Florian Waldvogel, gilt als Provokateur. Doch seine erste Ausstellung präsentiert nur interessante Namen, keine neuen Themen. Bleibt der Riesenbuddha von Daniel Milohnic, der neue Besucher generieren soll

Die Schau, mit der der Hamburger Kunstverein am Freitag wieder eröffnete, sollte der große Paukenschlag werden. Schließlich hatte man mit dem neuen Leiter Florian Waldvogel einen ausgewiesenen Polit-Rebellen an Bord geholt. Waldvogel, bekennender Fan vergänglicher Orte, hatte den Verein ursprünglich schließen und einen kleineren Raum suchen wollen. Das hat er dann zwar wegen des Mietvertrages und des Vorstandes unterlassen. Zum Ausgleich hat er aber ein bisschen mit den Räumen gespielt: Drei Monate lang wurden Obergeschoss-Wände herausgerissen, Foyer-Tresen und Garderobe entfernt, so dass das Haus wieder wie eine Markthalle aussieht.

Waldvogels zweites Ziel war, niedrigschwellige Kunstangebote zu machen und den „fehlerfreundlichen Umgang mit Nichtwissen über zeitgenössische Kunst“ zu begünstigen – sprich: kunstfernes Publikum zu generieren. Im Erdgeschoss ist ihm das gelungen: Da liegt Daniel Milohnic’ raumfüllender Buddha aus Holz, Pappe und Goldfolie – eine Hülle ohne Kontext und Aura. Es ist eine Anspielung, aber sie führt zu nichts, abgesehen vom glitzernden Outfit, das durchaus zum Hinschauen und Hereinkommen verlockt.

Das war’s dann aber auch mit der Niedrigschwelligkeit, denn die Schau im Obergeschoss wirkt ungleich sperriger. Mit dem Griechen Kostis Velonis hat Waldvogel einen in Deutschland kaum bekannten Künstler und damit neue Impulse geholt. Velonis’ Ansatz allerdings ist wenig innovativ. Seine großen Holzskulpturen handeln vom Zerfall der Utopien – nur dass er nicht 1968, sondern die 1920er Jahre wählte, konkreter: Konstruktivismus und die Oktoberrevolution.

Einen Propaganda-Kiosk des lettischen Konstruktivisten Gustavs Klucis hat Velonis zum Beispiel in bunten Farben – und natürlich ohne kommunistische Parolen – nachgebaut: ein harmlos bunter Kirmes-Turm, den die Besucher erklimmen dürfen. Anderswo hat Velonis Bühnenteile zu Fernand Crommelyncks Stück „Der gewaltige Hahnrei“ von 1922 nachgebaut, das den Zerfall der Revolution beklagt. Klar sind die Anspielungen, deutlich auch die Aussage, dass die Utopie gescheitert ist. Eine dezidierte Haltung zum realen Kommunismus fehlt aber.

Die Bühne wurde ein wenig verfremdet, und der Agitprop-Kiosk hat andere Farben. Trotzdem bedient sich Velonis weitgehend ungebrochen des konstruktivistischen und damit propagandistischen Formenrepertoires, als sei dies lange vergangen, als sei der Agitprop-Sprech in der Ex-DDR gänzlich erloschen und nirgends mehr die Kluft zwischen Tätern und Opfern des Realsozialismus zu spüren.

Doch all das ist lebendig. Und so offenbart die Schau eine zynische Ignoranz gegenüber der nicht verjährten Wirkung missbrauchter Symbole. Velonis’ Kunst ist erschreckend unpolitisch.

PETRA SCHELLEN

Hamburger Kunstverein, Klosterwall 23