Berlins CDU will nicht sammeln

Landesvize Wansner lehnt Unterschriftenaktion gegen EU-Beitritt der Türkei ab, Landesvorsitzender Zeller und Fraktionschef Zimmer gehen auf Distanz. Türkischstämmiger Ortschef droht mit Austritt

VON STEFAN ALBERTI

Der CDU-Abgeordnete und stellvertretende Landeschef der Union, Kurt Wansner, lehnt eine Unterschriftenaktion gegen einen EU-Beitritt der Türkei ab. Wansner, in dessen Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg gut jedes Fünfte von 600 Mitgliedern türkischstämmig ist, geht davon aus, dass die Berliner CDU das großteils genauso sieht. „Im Landesvorstand hat die Aktion bestimmt keine Mehrheit“, sagte Wansner der taz, „wir werden keine Unterschriften sammeln.“ Einen offiziellen Beschluss gibt es noch nicht, die Landesspitze tagt planmäßig erst am 25. Oktober.

Wansner, als Rechtsausleger verschrieen, nannte eine Unterschriftenaktion „unnötig und nicht zeitgemäß“. Bei der Begründung blieb er vage: Er befürchte, dass „möglicherweise nicht die Richtigen“ unterschreiben würden. Mit seinem Nein positionierte sich der Parteivize weitaus deutlicher als tags zuvor Landeschef Joachim Zeller und Fraktionschef Nicolas Zimmer. Die hatten lediglich erklärt, man stehe der Unterschriftenaktion „eher zurückhaltend gegenüber“. CDU-Bundeschefin Angela Merkel hatte die Diskussion ausgelöst, als sie am Sonntag eine Unterschriftenaktion nicht ausschloss.

Falls die CDU sich nicht von der Aktion verabschiedet, drohen ihr drastische Konsequenzen bei türkischstämmigen Parteimitgliedern. „Wenn das wirklich kommt, dann trete ich aus“, kündigte gestern Ortsverbandschef Sedat Samuray gegenüber der taz an. Er führt die Union am Chamissoplatz in Kreuzberg und ist damit einziger türkischstämmiger CDU-Ortschef in Berlin.

Über die CDU-Unterschriftensammlung 1999 gegen die doppelte Staatsangehörigkeit, den so genannten Doppelpass, habe man geteilter Meinung sein können, meint Samuray. „Aber jetzt würde es gegen eine konkrete Bevölkerungsgruppe gehen. Damit könnte ich nicht leben.“ Er fordert vom Landesvorstand, die Aktion abzulehnen und das gegenüber der Parteispitze um Merkel zu vertreten.

Berlins Gewicht in der Bundes-CDU ist begrenzt. Im 40-köpfigen gewählten Vorstand sitzt nur ein Berliner, der frühere Landeschef Christoph Stölzl. Qua Amt ist Zeller dabei. Stölzl mochte sich gegenüber der taz weder auf ein ein Ja noch ein Nein zur Unterschriftenaktion festlegen. Die Fraktion mühte sich gestern, Nachfragen abzubügeln und auf die Landespartei abzuschieben. Deren Sprecher sagte, Zeller werde sich im Bundesvorstand äußern, wenn das Thema auf die Tagesordnung käme, aber nicht selbst in die Offensive gehen.

Der EU-Beitritt an sich ist bei den türkischstämmigen CDUlern umstritten. Ortsverbandschef Samuray spricht sich dafür aus, macht davon aber nicht seine Parteimitgliedschaft abhängig. Timur Husein hingegen, Kreischef der Jungen Union in Friedrichshain-Kreuzberg, lehnt einen Beitritt ab. Istanbul sei zwar moderner als türkisch geprägte Teile Kreuzbergs, sagt er. „Aber Anatolien ist noch weit vom europäischen Standard entfernt.“ Husein ist bei der Unterschriftenaktion weitaus emotionsloser als Samuray. Sein Nein begründet er nicht mit drohender Diskriminierung. Für ihn bringt eine solche Aktion schlicht nichts, „außer dass wir potenzielle deutsch-türkische Wähler vergraulen“.

Am Montag hatte Emine Demirbüken, CDU-Vorstandsmitglied und Integrationsbeauftragte von Tempelhof-Schöneberg, eine Unterschriftenaktion als „Gift für die Integration“ der hier lebenden Türken bezeichnet. Austritt steht für sie aber nicht an: „Ich werde kämpfen und nicht wegrennen. Wenn es zu dieser hirnrissigen Aktion kommt, werden wir eine Gegenaktion starten“, sagte sie gestern. Schon 1999 bei der Anti-Doppelpass-Kampagne habe sie Pro-Stimmen gesammelt. Bei Demirbükens Wahl zur CDU-Vorstandsbeisitzerin 2002 fiel auf, dass sie und ein weiterer Türkischstämmiger von allen Bewerbern die wenigsten Stimmen bekamen.

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