strafplanet erde: ein wutanfall von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Nachdem Korves zum Polizeirevier verbracht worden war, suchten wir nach einer Erklärung für seinen beispiellosen Wutanfall, der so schmerzhafte Folgen für den Wirt der Vereinskneipe gehabt hatte, dass vorsichtshalber ein Notarzt einbestellt wurde.

Am Sonnabend habe sich Korves, wusste sein Arbeitskollege Elfert, im „Video-Dschungel“ eine DVD ausgeliehen. „Hulk“, diese Echtmenschen-Verfilmung einer Comic-Serie, in dem die extrem friedfertige Hauptfigur sich anlässlich jedes Tobsuchtsanfalls in ein riesiges grünes Muskelpaket verwandelt. Korves habe ihm, Elfert, am Montagmorgen im Büro davon erzählt, „quasi als Anhang zu seinem Urlaubsbericht“. Vom opulenten Bonus-Material auch, vom Interview mit dem Regisseur Ang Lee, der den Plot in der feinen Formulierung zusammengefasst habe, der Film handle von einem Mann, der nicht wisse, wie wütend er ist.

Am selben Tag kurz nach der Mittagspause, sagte Elfert wörtlich, habe Korves, dessen chronische Ausgeglichenheit jeden im Betrieb seit je frappiere, die Servicenummer der Billigfluglinie anvisiert. Ein Koffer war auf der Rückreise von Malaga abhanden gekommen. Die Warteschleife habe Korves’ Anliegen gewissermaßen galgenstrickartig stranguliert, daraufhin habe er es mit der Hotline des Flughafens probiert. „So’n Hals von hier bis Meppen hatte er!“ Dann habe Korves, nur mühsam einen Zornesausbruch unterdrückend, „demonstrativ“ den Lautsprecher des Telefons eingeschaltet. „Wenn Sie den Namen des gewünschten Ansprechpartners kennen, sagen Sie bitte Person. Sonst sagen Sie bitte Sonstiges.“ Korves sagte „Sonstiges“. „Sie haben ein sonstiges Anliegen? Sagen Sie ja oder nein.“ Korves sagte „ja“. „Möchten Sie mit einer Fluggesellschaft, einem Reisebüro oder einer Autovermietung sprechen, möchten Sie eine Flugplanauskunft oder Informationen über Parkgutscheine bzw. Parkgebühren? Oder haben Sie ein sonstiges Anliegen? Korves sagte „Sonstiges“. „Sie haben ein sonstiges Anliegen? Sagen Sie ja oder nein.“ Korves sagte nichts mehr, er brüllte: „Saftladen!“ Die Stimme blieb unbeeindruckt: „Sie sagten Gepäckaufbewahrung. Ist das richtig? Sagen Sie ja oder nein.“ Korves legte auf.

Die blutige Nase, die zwei gebrochenen Rippen, das Schädelbrummen handelte sich der Vereinswirt am Abend des folgenden Tages ein, als wir die Schnittchen bezahlen sollten. Der Wirt hatte die unverschämte Rechnung ohne Rücksicht auf Korves’ Befindlichkeit gemacht. Anders als angenommen waren von den zwei Mannschaften, die Korves für das entspannt verlaufene Freizeit-Match formiert hatte, nur sechs Spieler zum anschließenden Imbiss im Hinterzimmer dageblieben.

Korves’ Hinweis zum Trotz beharrte der Wirt auf der vorbestellten Anzahl, schmierte drauflos und brachte fünf Servierplatten belegter Brote. Jede halbe Scheibe à ein Euro fuffzich, wie wir ausrechneten, summa 105 Euro. Das war relativ betrachtet viel Geld für ein paar lappige Schnittchen, und es war absolut zu viel der Boshaftigkeit für Korves, der sich zum Nachverhandeln auf den Weg in den Schankraum machte. Wir hörten noch den Schlachtruf „Sagen Sie ja oder nein!“ Dann das Getöse.