Kasper und die Krokodile

Torwarttrainer Sepp Maier ist abserviert – und das Image der Nationalmannschafts-Sanierer Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff hat erste Risse. Für sie zählt nur eins: das Geschäftsziel WM 2006

VON JÖRG SCHALLENBERG

Das Volk hat, wie immer, eine klare Meinung. Über 60 Prozent der Fernsehzuschauer finden die Entlassung von Bundestorwarttrainer (BTT) Sepp Maier höchst ungerecht. Nun ja, zumindest gilt das für die Stammseher von „Blickpunkt Sport“ im Bayerischen Fernsehen – nachdem sich deren Moderator am Montagabend aufs Hochnotpeinlichste daran abgearbeitet hatte, den BTT-Maier-Sepp als liebenswertes und aufrechtes Original darzustellen, der vom eiskalten Sanierer Jürgen Klinsmann nach fast 40 Jahren Betriebszugehörigkeit kalt lächelnd abserviert wurde. Uups, da ist der Kasper also plötzlich vom Krokodil gefressen worden. Und jetzt gute Nacht, liebe Zuschauer.

Angesichts dieser allzu schlichten Darstellung ruderte selbst Studiogast und Maier-Spezl Paul Breitner zurück: Zwar fand er die Aufregung um das vermeintlich belastende Interview Maiers in der vergangenen Woche reichlich hysterisch, aber inhaltlich gab er Klinsmann Recht. Wenn der Angestellte Maier mit seinen unzweifelhaften Verdiensten als Torwart und Trainer trotz Abmahnung die Klappe nicht halten kann, dann muss er gehen.

So ist das halt bei Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff, die sich ganz offensichtlich eines vorgenommen haben: die Nationalmannschaft so zu führen wie ein neu bestelltes Management einen maroden Betrieb der Old Economy, der seine besten Zeiten hinter sich hat. Was wenig verwundert: Bierhoff hat das bei etwas intelligenteren Fußballern beliebte Fernstudium der Betriebswirtschaftslehre absolviert, während Klinsmann in den USA in die Welt der Geschäftsführung und des Marketing eingeführt wurde – und dort eine Firma namens SoccerSolutions betreibt, die Vereine in PR-Fragen berät.

Bei Bierhoff und Klinsmann handelt es sich um hoch motivierte Berufsanfänger, die eine Sprache eingeführt haben, welche laut Spiegel „mit ihren Anglizismen („key messages“) an Manager-Kurse erinnert und manchmal derart ins Esoterische lappt, dass Zuhörer glauben, sie hätten sich ins Seminar eines Motivationsgurus verirrt“.

Doch das stört zunächst wenig, denn Klinsmann, Bierhoff und der Abteilungsleiter Trainingsbetrieb, Joachim Löw, wissen zwar möglicherweise nicht genau, was sie tun – aber sie haben, wie es jedes Managerseminar für Anfänger fordert, ein klares Geschäftsziel: den Gewinn der Weltmeisterschaft 2006. Auf dem Weg dorthin wechseln sie erst mal, auch das kennt man beispielsweise von großen Verlagen, eine ganze Menge Personal aus.

Reisende Funktionäre wie DFB-Sportdirektor Bernd Pfaff wurden entfernt, zweifelhafte Gestalten wie U21-Coach Uli Stielike abgesetzt, Tempofußballbremsen wie „das Metronom“ Dietmar Hamann ausgemustert, dafür reihenweise junge Spieler ins Nationalteam eingeladen – all das waren für den nicht Bild-geführten, kritischen Beobachter eine Reihe gefühlt richtiger Entscheidungen.

Mal ganz abgesehen davon, dass Klinsmann und Bierhoff auch optisch einen angenehmeren Eindruck hinterlassen als Rudi „Brennlocke“ Völler und Michael Skibbe mit seinem in die Trainingshose gestopften Polohemd. Vielleicht wirken sie aber manchmal auch ein wenig zu glatt, zu smart, zu clever. Der Rausschmiss von Sepp Maier verstärkt ein Bauchgefühl: dass bei allem Optimismus doch irgendwas nicht stimme.

Die Art etwa, mit der Oliver Bierhoff am vergangenen Wochenende das gute Betriebsklima und die neue Selbstständigkeit der Nationalspieler eigenlobte – und als Beispiel dafür anführte, dass Kevin Kuranyi im Bus mal DJ spielen und die Mannschaft bei einem Kinobesuch den Film selbst bestimmen durfte. Einen Tag später riet er den Torhütern Kahn und Lehmann im Stil eines alten Firmenpatriarchen, jetzt endlich „die Schnauze zu halten“. Klinsmann drohte parallel jedem mit fristloser Kündigung, der sich in irgendeiner Form kritisch über die Nationalmannschaft äußert.

Hinter der scheinbar weltoffenen Modernität und einer wiederum bei der New Economy abgeschauten Pseudo-Lockerheit im internen Umgang, die bis hin zum Zwangsduzen reicht, verbirgt sich, so ahnt man allmählich, eine höllische Autorität, wie man sie bei der Nationalmannschaft seit den Zeiten von Reichstrainer Otto Nerz nicht mehr kannte. Wer im neuen Laden dabei bleiben will, sollte besser einen Treueschwur samt Schweigegelübde leisten.

Ob diese wahlweise aus einem Führungskräfteseminar der Deutschen Bank oder einem Handbuch zur Leitung von Psychosekten entliehene Strategie dauerhaft Erfolg hat, weiß keiner. Doch stoppen kann Klinsmann und Bierhoff niemand mehr. Die Besitzer haben die Firma schließlich so runtergewirtschaftet, dass sie jetzt nur noch Augen und Ohren zuhalten können und hoffen, dass alles gut geht. Abgerechnet wird erst 2006.