Kampf der Autonomie

Am Donnerstag treffen sich Vertreter von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Parteien zum ersten Spitzengespräch über die Tarifautonomie. Für DGB-Chef Sommer ist es „das“ Thema dieses Herbstes

„Zu welchem Deal sich die SPD hinreißen lässt, ist nicht prognostizierbar“

von THILO KNOTT

Angela Merkel kommt. Franz Müntefering, Katrin Göring-Eckhardt und Wolfgang Gerhardt kmomen auch. Zu den Fraktionsvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen und FDP gesellen sich noch DGB-Chef Michael Sommer und Martin Kannegiesser, Vizechef der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Nein, das ist kein neues Bündnis für Arbeit, das sich da (klandestin und ohne Kanzler) am Donnerstag in Berlin trifft. Die illustre Runde ist lediglich Gast bei der Initiative der Betriebs- und Personalräte für Tarifautonomie. Das Motto der Veranstaltung: „Es läuft nur mit Tarifvertrag“.

Das ist der Wunsch der Gewerkschaften. Aber eben nur ein Wunsch, ginge es nach Union und FDP. Sie machen sich derzeit vehement an ein gewerkschaftliches Heiligtum: die Tarifautonomie. CSU-Chef Edmund Stoiber hat gestern beim dreistündigen Spitzengespräch mit DGB-Chef Michael Sommer in München wiederholt, was CDU-Vorsitzende Merkel schon letzte Woche beim Ver.di-Kongress forderte: „Betriebliche Bündnissen – ohne Gewerkschaften“. Nur über ein höheres Maß an Flexibilität könnten sich die Betriebe „dem globalen und europäischen Wettbewerb stellen“. Sommer entgegnete, das Tarifsystem sei schon „flexibel, problemorientiert und auch erfolgreich“. Den Kampf für die Tarifautonomie hatte Sommer schon vorsorglich zum „großen Thema in diesem Herbst“ auserkoren. Klar: Nicht nur dass die Gewerkschaften auf dem Gebiet der Gesellschaftspolitik momentan kein Gehör finden. Nun droht auch noch die Beschneidung ihrer ureigenen Kompetenz: der Tarifpolitik.

Auf die Tagesordnung hat die CDU dieses Thema mit einem im Juni eingebrachten Gesetzentwurf gebracht. Titel: „Modernisierung des Arbeitsrechts“. So sollen Unternehmen beispielsweise Arbeitslose während der Probezeit unter Tarif bezahlen können. Oder das Kündigungsschutzgesetz würde nicht mehr für Neueinstellungen in Betrieben mit weniger als 20 Beschäftigten gelten. Doch diese Punkte sind harmlos im Vergleich zum Kern des Gesetzentwurfs: „Beschäftigungsorientierte Abweichungen von Tarifverträgen werden unter Beachtung der Tarifautonomie zugelassen. Betriebliche Bündnisse für Arbeit und beschäftigungssichernde Betriebsvereinbarungen werden gesetzlich abgesichert.“

Was da recht verklausuliert niedergeschrieben wurde, zieht Einschnitte im Tarifvertragsgesetz und im Betriebsverfassungsgesetz nach sich. Erstens sieht der CDU-Entwurf vor, dass auch der Erhalt des Arbeitsplatzes künftig ein Grund ist, im Sinne des Arbeitnehmers vom Tarifvertrag abzuweichen. Zweitens dürften Betriebsrat und Arbeitgeber direkt über Tarifverträge verhandeln – ohne Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände (siehe auch Kasten unten).

Die Gewerkschaften sehen in dem Gesetzentwurf einen Angriff auf die Tarifautonomie, jenes im Grundgesetz und Tarifvertragsgesetz verankerte Prinzip, das Gewerkschaften und Arbeitgebern zuspricht, die Arbeits- und Einkommensbedingungen in freien Tarifverhandlungen kollektiv festzulegen. Ohne staatliche oder sonstige Eingriffe. Diese Kompetenz wäre mit dem CDU-Entwurf qua Gesetz beschnitten.

Die CDU favorisiert „betriebliche Bündnisse“, weil diese den Unternehmen besonders in Krisenzeiten helfen würden. Firmenabwanderungen ins Ausland könnten verhindert, Arbeitsplätze in Deutschland gesichert, Investoren ins Land geholt werden. Und das entspräche dem Interesse des Arbeitnehmers. Die Gewerkschaften bezweifeln, dass es der Opposition überhaupt um betriebliche Bündnisse in Notlagen geht. „Es geht um Wettbewerbsverbesserung der einzelnen Unternehmen über Lohndumping“, sagt Margret Mönig-Raane, stellvertretende Ver.di-Chefin und zuständig für Tarifpolitik. Denn Bündnisse für Arbeit in wirtschaftlichen Notlagen seien auch im Rahmen des bisherigen Tarifvertrags möglich und ausdrücklich erwünscht.

„Es geht um Verbesserung des Wettbewerbs über Lohndumping“

Die Gewerkschaften bringen nun die Betriebsräte selbst und sogar die Personalräte in Stellung gegen das CDU-Anliegen. Diese würden gar nicht mehr Macht haben wollen, heißt es bei der IG Metall. Die Metaller haben in einer Umfrage unter Betriebsräten festgestellt, dass sich 92 Prozent der Arbeitnehmervertreter in den Betrieben schlicht „überfordert“ sähen, sollten sie das Recht für betriebliche Vereinbarungen bekommen.

In den Gewerkschaften geht dennoch die Angst um, dass es schlussendlich gar nicht mehr auf die Argumente ankommt. Auch wenn sich viele Sozialdemokraten klar für die Beibehaltung der Tarifautonomie aussprechen, so ganz trauen die Gewerkschaften der Regierung nicht über den Weg. Besonders Kanzler Gerhard Schröder nicht, der zuletzt mit seinem Auftritt bei der IG Metall „nicht zur Beruhigung beigetragen hat“, wie Armin Schild, Leiter der Abteilung Tarifpolitik der IG Metall, gegenüber der taz betont. Dort hatte Schröder wiederholt, was er schon am 12. März bei der Vorstellung seiner Agenda 2010 erklärte. Die Tarifautonomie bleibe unangetastet – aber Arbeitgeber und Gewerkschaften müssten das Tarifvertragssystem schon erheblich modernisieren.

Schild hat ziemliches Bauchgrimmen, wenn er daran denkt, dass die rot-grüne Regierung in diesem Herbst Teile der Hartz-Gesetze mit der Zustimmung der Oppositionsmehrheit im Bundesrat durchbringen muss. Die Einschnitte in die Tarifautonomie könnten die Verhandlungsmasse sein, der Union ihr Ja zu Hartz zu entlocken. „Zu welchem Deal sich die SPD hinreißen lässt, ist nicht prognostizierbar“, sagt Schild. Es komme möglicherweise zu einer „Nacht der langen Messer“ zwischen Regierung und Opposition, befürchtet Schild, dann werde auch um die Tarifautonomie „gepokert“. Den Gewerkschaften bleibt bei diesem Spiel nur die Zuschauerrolle.