Buttiglione sorgt in Brüssel für Streit

Die EU-Parlamentarier lehnen erstmals einen designierten Kommissar ab. Nun geht es auch noch um Werte

BRÜSSEL taz ■ Heute Mittag wird es noch mal spannend. Dann setzen sich die Vorsitzenden der Fraktionen im Europaparlament mit dem Parlamentspräsidenten Josep Borell zusammen, um eine Verhandlungslinie für das Gespräch mit dem neuen Kommissionspräsidenten abzustecken. Am Montagabend hatte ihn der Innenausschuss mit einer Mehrheit von 27 zu 26 Stimmen aufgefordert, Rocco Buttiglione als EU-Kommissar für Justiz und Inneres zurückzuziehen.

Damit ist der Ball zunächst im Feld von José Barroso – sollte man meinen. Tatsächlich hat diese erste und einzige Ablehnung eines designierten Kommissars durch einen Fachausschuss das Parlament in eine schwierige Lage gebracht. Es liegt an den Besonderheiten der europäischen Politik, dass die Parlamentsvertreter bei ihren nächsten Schritten nicht nur parteipolitische Komplikationen bedenken müssen, sondern auch zwischenstaatliche Verwerfungen zu fürchten haben.

Wahrscheinlich hat der neue spanische Parlamentspräsident Borell, der seinen Job ebenfalls einem Deal zwischen Rechten und Linken, zwischen kleinen, mittleren und großen Ländern verdankt, die Lawine losgetreten. Ende letzter Woche verriet er dem französischen Rundfunk, er würde in Spanien keinen Justizminister „mit solchen Ansichten“ haben wollen. Buttiglione hatte in der Anhörung unter anderem Homosexualität als Sünde bezeichnet und die Fortpflanzungsfunktion der Ehe betont.

Die konservative deutsche Abgeordnete Ewa Klamt sagte daraufhin, Borell habe eindeutig sein Amt für politische Agitation missbraucht. „Für Katholiken scheint es in Europa keine Mehrheit geben zu dürfen.“ Damit ist nun auch noch die Wertedebatte im Spiel. Die Sozialisten im Innenausschuss hatten bis zuletzt versucht, die Konfrontation abzumildern. Sie wollten Barroso als Kompromiss vorschlagen, Buttiglione ein anderes Ressort zu geben.

Hinter dieser diplomatischen Zurückhaltung steckt die Sorge um den eigenen Wackelkandidaten: Laszlo Kovacs, noch Außenminister von Ungarn und bei den Rechten als sowjetisch geprägter Parteikader verschrien. Die Konservativen glauben nicht, dass er der richtige Mann ist, um mit Russland Energieverträge auszuhandeln. Im Fachausschuss hielten sie sich dennoch zurück, da die Linken den umstrittenen Umweltkommissar Stavros Dimas aus dem rechten Lager ebenfalls hatten passieren lassen. Auch die Liberalen verhielten sich still. Mit einem freundlich-neutralen Brief des Wirtschaftsausschusses für die fachlich schwache und in vielen Fragen ihres Ressorts politisch vorbelastete designierte Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes hatte das ganze Gemauschel schließlich angefangen. Kroes soll Dossiers, bei denen sie befangen sein könnte, an Kollegen abgeben. Buttiglione soll mit Gleichstellungsfragen ebenso verfahren. Vielleicht sollten die beiden einfach die Ämter tauschen. DANIELA WEINGÄRTNER

meinung und diskussion SEITE 11