Ein Abend des Staunens

Gehört: Pierre-Laurent Aimard mit afrikanischer Folklore und moderner europäischer Klaviermusik beim NDR

Das kommt schon äußerst selten vor: Ein Konzert mit zeitgenössischer Musik – und der Saal ist ausverkauft. Zu erleben am vergangenen Montag im Rolf-Liebermann-Studio des NDR beim gemeinsamen Abend des französischen Pianisten Pierre-Laurent Aimard mit der zentralafrikanischen Vokalmusikgruppe Nzamba Nela.

Die Angehörigen der noch bis vor wenigen Jahrzehnten als Nomaden lebenden Aka-Pygmäen sind keine Profis. Sondern Musiker, die ihre für europäische Verhältnisse unglaublichen Fähigkeiten normalerweise nicht vorführen. Fremde Zuhörer gibt es in der Regel keine bei dieser Musik, deren Hintergrund Bestattungs- oder Versöhnungsrituale sind.

Gesungen und gespielt wird aber auch einfach zur eigenen Freude. Hat man, wie jetzt in Hamburg, das Glück, solchem Musizieren zuhören zu dürfen, kommt man sich ein bisschen wie ein Voyeur vor, der sich an äußeren Dingen erfreut, aber die inneren Zusammenhänge der Geschehnisse nicht versteht. Dieses äußerliche Faszinosum ist hier die Komplexität einer Vokalmusik, die nie notiert wurde, sondern über Jahrhunderte immer nur durch die Praxis an die nächste Generation weitervermittelt.

Jeder Musiker singt oder spielt ein zunächst überschaubares Ostinato, ein sich stetig wiederholendes musikalisches Muster in einer Art Endlosschleife. Nun sind diese einzelnen Ostinati unterschiedlich lang, dadurch überlagern sich die einzelnen Stimmen immer wieder auf andere Art. Es entsteht ein kontinuierlich sich änderndes, sich dabei aber im Prinzip immer selbst ähnlich bleibendes Klang-Bewegungsbild. Variieren die Musiker dann noch ihre jeweiligen Ostinati, entsteht eine Vielfalt, die auch Komponisten begeistern kann.

So ist es György Ligeti gegangen, der, angeregt durch seine Auseinandersetzung mit derartiger Musik wie auch dem Phänomen der Selbstähnlichkeit der Fraktale in der Chaostheorie, eine Reihe von Klavieretüden schrieb. Überlagerungsprozesse wie in der Folklore der Aka-Pygmäen wurden von ihm transformiert in einen eigenständigen Klaviersatz, der eigentlich kaum spielbar ist, vom phänomenalen Pianisten Aimard jedoch mit Leichtigkeit dargeboten wurde. Da glaubte man beinahe permanent mehrere Stücke von mehreren in unterschiedlichen Geschwindigkeiten agierenden Spielern gleichzeitig zu hören. Die innere Verwandtschaft der unterschiedlichen Musiken von Ligeti und Nzamba Nela wurde wunderbar erlebbar. Und so wurde diese Veranstaltung zu einem Abend des Staunens, den man nur begeistert verlassen konnte.

REINALD HANKE