Philosoph im Imbiss

Die Stiftung Bremer Bildhauerpreis zeichnete gestern den Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn mit dem Rolandpreis aus

Was ihn ziemlich sympathisch macht: Thomas Hirschhorn gehört weder zur Vernissagen-Schickeria, noch ist er ein konzeptioneller Schaumschläger. Trotzdem hat er was über seine Arbeit zu sagen, und wie sich ein Kulturbetrieb-Sektglas anfühlt, weiß er auch: Gestern wurde dem Schweizer Künstler der Bremer Rolandpreis für Kunst im öffentlichen Raum verliehen. Dabei war er zwar der Preisträger, das Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro aber teilt er mit dem Kasseler Sozialarbeiter Lothar Kannenberg und dessen Boxcamp Philippinenhof-Nordstadt.

Denn Kannenberg und seine Boxer spielten eine wichtige Rolle bei jenem Hirschhorn-Projekt, das die Jury in ihrer Begründung am meisten beeindruckt hatte: Hirschhorn steuerte 2002 der Kasseler Documenta 11 ein Kunstwerk bei, das nicht nur in einem sozial schwachen Kasseler Stadtteil verortet war, sondern auch die dortigen Bewohner aktivierte und vor allem integrierte. Es sollte ein Monument sein, das – im Gegensatz zum herkömmlichen Monument – nur eine begrenzte Lebensdauer haben sollte. Außerdem sollte dieses Monument aus mehreren Elementen bestehen, beispielsweise: ein Imbiss, ein TV-Studio, ein Fahrdienst, eine Bibliothek, eine Ausstellung. Der Name des Werks: „Bataille Monument“.

Zusammen mit den Bewohnern der Siedlung baute Hirschhorn sehr einfache Hütten, in denen es um ein Thema gehen sollte: den französischen Philosophen, Dichter, Kunsttheoretiker und Anthropologen Georges Bataille (1897 - 1962). Für Hirschhorn war sein Kasseler „Bataille Monument“ die dritte von vier zusammengehörigen Philosophen-Installationen. Und für die Bewohner der Friedrich-Wöhler-Siedlung war Bataille Neuland.

Trotzdem schaffte es Hirschhorn, die Leute für sein Projekt zu begeistern, und das ganz ohne sozialpädagogisches Pathos: Hirschhorn bestand auf der Autonomie seines Kunstwerks, fragte lediglich nach Hilfe, ohne selber helfen zu wollen: „Ich bin Künstler, und kein Sozialarbeiter“. Er zahlte den meist jugendlichen Helfern 8 Euro pro Stunde, denn er hasst „die Freiwilligkeit des Kunstbetriebs“. Und als ihm in den ersten Tagen seine HiFi-Ausrüstung nebst Laptop aus der eigens angemieteten Siedlungs-Wohnung geklaut wurde, dachte er sich: Weiter kann es jetzt nur gehen, wenn die Sachen freiwillig zurückgegeben werden. Hirschhorn: „Ich sah es als eine Prüfung für die Realitätstauglichkeit des Projekts.“

Klar: So ganz los vom Sozialen kommt Hirschhorn bei seiner Arbeit nicht, wollte er doch nach eigenen Angaben „Wissen vermitteln“ und Bezüge herstellen zwischen dem Documenta-Kunstpublikum und den Kasselern am Stadtrand. Womöglich ist eine der Neuigkeiten des Projekts das Selbstbewusstsein, mit dem es umgesetzt wurde. Kunst erobert einen Ort, indem man den Ort die Kunst erobern lässt. Bei Hirschhorn hat‘s geklappt.

Klaus Irler