EU: THEORETISCHE GLEICHBERECHTIGUNG SOLL SICH INSTITUTIONELL ZEIGEN
: Für jedes Mitglied einen Kommissar

Die EU steht vor der Spaltung. Nein, nicht etwa nur in alte und neue Europäer, sondern auch in solche, die die Integration vorantreiben und solche, die sie ablehnen. Und auch in große und kleine Staaten. Entstehen werden stattdessen ein deutsch-französisch-britisches Direktorium, das gerade erstmals im atomforschenden Iran seine Handlungsfähigkeit bewiesen hat, und verschiedene Gruppen, die sich von Fall zu Fall den großen dreien anschließen. Bereits die geltenden Verträge schieben einer solchen Gruppenbildung keinen Riegel vor. Klar ist: In einer EU der 25 oder bald gar 30 Mitgliedstaaten werden die Bruchlinien immer größer.

Aus diesem Grund ist es entscheidend, wenigstens einige europäische Institutionen zu bewahren, die verdeutlichen, dass die Union ein Zusammenschluss gleichberechtigter Mitgliedstaaten ist. Die Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in den Ländern, die gerade die Ratspräsidentschaft innehaben, sind bereits abgeschafft – obwohl es immer einen hohen symbolischen Wert hatte, Gastgeber des höchsten Entscheidungsgremiums der EU zu sein. Und selbst diesen Ratspräsidenten soll es bald nicht mehr geben; im Rahmen der Verfassungsdebatte denkt man über „Gruppenpräsidentschaften“ nach, bei denen sich mehrere Staaten die Führung eines Politikbereichs teilen.

Wie aber sollen die Bürger Lettlands eigentlich noch merken, dass sie in der EU etwas mitzuentscheiden haben und nicht nur Umsetzungsinstanz Brüsseler Richtlinien sind? Durch die acht Abgeordneten, die sie in einem 732 Sitze zählenden Europaparlament vertreten werden? Eine rhetorische Frage, denn natürlich ist es für die Letten viel bedeutsamer, einen eigenen Kommissar zu stellen. Sicher, die Argumente, die gegen eine Vergrößerung der Kommission von 20 auf 27 Mitgliedern angeführt werden, sind zum großen Teil richtig. Sie wird zu groß sein und damit etwas handlungsunfähiger. Aber eben nicht handlungsunfähig. Es muss also zwischen zwei Übeln gewählt werden. Und das kleinere heißt: für jedes Land ein Kommissar. Nur dies hilft gegen die weitere Aufspaltung der Union. SABINE HERRE