tanztheaterdonner von JOACHIM SCHULZ
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Die Liebste weiß, dass ich Tanztheater nicht mag. Wahrscheinlich bin ich ein kultureller Neandertaler, doch wenn ich ausdrucksstark gestikulierende Schauspieler sehe, die zwanghaft den Schnabel halten, dann glaube ich, in einem Stummfilm zu sitzen, und langweile mich krumm, weil niemandem eine Torte ins Gesicht fliegt.

Insofern strömt eines Abends der Duft von Pulpo à la Gallega durchs Haus. Für einen nach galicischer Art gekochten Kraken – auch das weiß die Liebste – nähme ich bedenkenlos fünf Jahre Festungshaft hin.

„Du-uu?“, gurrt sie: „Demnächst gibt es ein Gastspiel einer angeblich phänomenalen belgischen Tanztheatertruppe. Gehst du da mit mir hin?“ Ich kaue genussvoll und nicke. „Ehrlich?“ – „Klar“, nuschele ich mit vollem Mund. „Versprochen?“ – „Großes Indianerehrenwort!“, sage ich und nehme mir genüsslich eine zweite Portion.

Indes haben selbst die Indianer wohl nicht mehr den besten Ruf: Der Abend der Aufführung ist gekommen, doch die Karten sind unauffindbar. „Spuck’s aus!“, raunzt die Liebste: „Wo sind sie?“ Das scheint eine sinnlose Frage zu sein, da schließlich nicht ich, sondern sie die Karten besorgt hat und daher auch für ihre Aufbewahrung verantwortlich ist. Doch offenbar glaubt sie, ich hätte sie heimlich verschwinden lassen, um mir das öde Gezappel im letzten Moment noch ersparen zu können.

„Was traust du mir eigentlich zu?“, raunze ich also zurück, kriege indes keine Antwort, da die Liebste sich plötzlich die Hand vor den Kopf schlägt, zum Wäscheständer eilt und die Karten – zwar frisch gewaschen, aber noch lesbar – aus einer Tasche ihrer Cordhose fischt.

Eine Lehre ist ihr das freilich nicht, denn als wir kurz darauf im Auto sitzen und die Karre nicht anspringt, fixiert sie mich erneut mit finsterer Miene. Sie weiß genau, dass ich nicht den blassesten Schimmer von Automotoren habe. Wollte ich einen Wagen am Wegfahren hindern, müsste ich mir damit behelfen, ihn in die Luft zu sprengen. Bevor ich sie aber daran erinnern kann, ist sie zurück ins Haus gesprungen, um ein Taxi zu rufen.

Der Wagen allerdings kommt nicht. Nicht nach fünf, nach zehn, auch nicht nach zwölf Minuten. Nach einer Viertelstunde stürmen wir zur Hauptstraße hinunter. Doch bis wir dort angelangt sind und endlich ein freies Taxi vorbeikommt, ist die nächste kleine Ewigkeit verstrichen. So hat die Aufführung längst angefangen, als wir das Theater erreichen. „Kein Einlass nach Vorstellungsbeginn“, ist auf einem Schild am Treppenaufgang zu lesen. Daneben steht ein bulliger Kerl, der im Hauptberuf Catchweltmeister sein könnte. „Wir müssen rein! Hier sind die Karten!“, rufe ich. Der Catcher aber tritt uns in den Weg, mustert mich wie einen Rüsselkäfer, der in seinem Frühstücksmüsli schwimmt, und weist uns den Weg Richtung Ausgang.

„Mist!“, sage ich, als wir wieder draußen stehen. Ich blicke die Liebste an und warte darauf, nun die Schuld für den gründlich vermasselten Abend in die Schuhe geschoben zu kriegen. Doch was sagt sie? Sie sagt: „Du hast Recht: Tanztheater ist blöd!“ Und dieses unerwartete Happyend findet ein kultureller Neandertaler wie ich selbstverständlich über alle Maßen erfreulich.