Zärtlich ficken die Pferdchen

Ganz klein und so unauffällig, dass man sie kaum sieht: Sandra Groß’ „unbetitelte Sachen“ in den III Galleries sind unter uns: schön, straight und irritierend verletzlich

Pferde, noch schwerer zu entziffern als Robert Walsers Bleistiftromane

Die Hackeschen Höfe haben zwei Eingänge. Links ist der Hochglanzteil, rechts der Bereich, der ein bisschen dunkler und subkultureller scheint: das altgediente Café Cinema mit seinem prätentiös gemütlich-schummrigen Kulturgesprächscharakter, das von einer Zwangsversteigerung bedrohte Haus Schwarzenberg mit dem Eiszeit-Schwester-Kino Central, dem ausgedachten Club Eschschloraque und überdimensionierten Schrottkunstwerken, die angeberisch wackeln, wenn man Geld reinstopft.

Zwischen Café Cinema und dem Haupteingang des Hauses Schwarzenberg ist eine kleine Galerie, in der Sandra Groß kleine Pferdchen ausgestellt hat. Die Figuren stehen auf einem Regalbrett, das sich vom Eingang bis zum Ende des Raums hinzieht. Sie sind aus Bindfäden, ganz klein und so unauffällig präsentiert, dass man sie fast übersieht. Wenn man zum Beispiel als betrunkener Tourist, angelockt von der Musik, zur Ausstellungseröffnung gekommen wäre und sich vorgestellt hätte, in einem geheimnisvollen Club gelandet zu sein, hätte es passieren können, dass man das Regalbrett für eine Ablage gehalten hätte, und dann hätte man vielleicht sein Bier auf eins der kleinen Pferdchen gestellt, die so gänzlich ungeschützt im Freien stehen.

Die Sachen, die Sandra Groß macht und die noch bis zum 9. November hier zu sehen sind, sind jedenfalls extrem filigran. Meditative Fummelarbeiten, die die 33-jährige Künstlerin in den letzten drei Jahren eher so für sich hergestellt hat. DAG, der Künstler, hatte die Sachen gesehen und ihr geraten, sie auszustellen. Die Pferdchen aus braunen, weißen oder schwarzen Bindfäden sind reißzweckengroß; ganz dünne Beine, der Leib etwas dicker, lange Schweife aus vier Fäden.

Wenn man genau hinschaut, sieht man die Ohren und den Kopf und wie elegant und ein bisschen nervös sie eigentlich tänzeln, wobei das Bewegungselement dadurch verstärkt wird, dass das Einzige, was sich bewegen könnte, ja der Schweif ist, da die Figuren an Pappe, ihren Boden, angenäht sind.

Manche dieser Figuren stehen in Reihe, die Vorderbeine auf den Hinterteilen des Vorderpferdchens, und seltsamerweise sehen sie dabei viel eleganter aus als im Zirkus oder irgendwie auch so, als würden sie gern hintereinander stehen, als wären sie Freunde, die stolz etwas aufführen. Wenn man länger hinschaut, denkt man an eine Schrift aus unbekannten Noten oder Zeichen, vibrierend irgendwie, wie die Meskalinzeichnungen des Dichters Michaux, kaum zu entziffern in ihrer Winzigkeit wie die Bleistiftromane Robert Walsers. Für jeden öffnen sich vielleicht auch ganz unterschiedliche Assoziationsräume; die Welt wird ja immer geheimnisvoller im ganz Kleinen, in dem man sich verlieren kann wie im All.

Zwei Pferdchen ficken am Rande, in der Ecke der Pappe, und wenn die Pappe die Erde wäre, wäre dahinter das drohende Nichts, in das sie aber nicht fallen können, weil ihre Beine ja mit dem Boden verwachsen sind. Ein Pferdchen hat einen Reiter und ist stolz darauf, auch wenn der Reiter trotz seines Zylinders fast herunterfällt; eines macht es sich in einem wunderschön weichen Gebüsch bequem, während das andere es zu suchen scheint, es gibt Andeutungen von Geschichten und Gras und Gewächsen zwischen zwei Pferdchen. Und irgendwann sagte jemand während der seltsamen Ausstellungseröffnung am letzten Freitag: Wenn dir nicht gesagt worden wäre, dass es sich um Pferdchen handeln würde, würdest du vielleicht auch Katzen sehen.

Die Wesen nehmen Bezug aufeinander, und ihre Wünsche, ihre Scheu eröffnen einen Raum, der nur ihnen gehört. Und alles, was vielleicht hübsch, melodisch und nett klingt, ist es doch nicht oder nicht nur. Wenn die Pferdchen paternalistisch geschützt in Vitrinen stünden, sähen sie vielleicht stylisher aus, und man brauchte keine Angst um sie zu haben: So sind sie unter uns; schön und straight, gerade in ihrer irritierenden lebendigen Verletzlichkeit. Dann schaut man wieder hoch und hat das Gefühl, dass die Menschen doch viel zu groß sind. DETLEF KUHLBRODT

Sandra Groß, „unbetitelte Sachen“. Ill Galleries, Rosenthaler Str. 39, 10178 Berlin, Do.–So., 14–20 Uhr