Das digitale Foul

Was früher kein Mensch brauchte, ist heute bei fast allen Sendern Routine: die elektronische Bildbearbeitung bei Sportübertragungen im Fernsehen

Telefonzellen werden als Maßstab unter die Hochsprunglatte montiertEndpunkt der Entwicklung wäre dann der Fernsehsport per Joystick

von JUTTA HEESS

Wer so dicht auffährt, muss eine Pistensau sein. Der Franzose Fréédric Covili jagte am vergangenen Wochenende nur wenige Millimeter hinter dem Amerikaner Bode Miller den Abhang in Sölden hinunter. Bis zur Ziellinie blieb er ihm dicht auf den Skienden. Es war aber gar kein unverantwortliches Geheize, das man bei der Übertragung des 1. Weltcup-Riesenslaloms der neuen Wintersportsaison in der ARD sah. Die Bilder der Fahrten von Sieger und Zweitplatziertem wurden von der Regie simultan übereinander gelegt, sodass der Zuschauer die jeweiligen Bewegungen und Stockeinsätze an exakt derselben Slalomstange vergleichen konnte. Covili ist also gar keine Pistensau, sondern virtuell bearbeitet.

Fast jede Sportart wird mittlerweile für ihre Fernsehauftritte mit modernster Computertechnik schick gemacht. Gab es bis vor ein paar Jahren bloß Zeitlupenwiederholungen von wichtigen Szenen, so werden heute die Aktionen der Athleten mit Linien, Kreisen und Farben verziert, mit kalibrierten Kameras aufgenommen und in Einzelbild-Sequenzen wiedergegeben. Einer, der schon von Anfang an mit den virtuellen Sehhilfen für Fernsehsportzuschauer arbeitet, ist der ZDF-Regisseur Achim Hammer. Bei den Skiweltmeisterschaften 1999 in Vail sei erstmals die Simultantechnik eingesetzt worden. „Der Durchbruch des Virtuellen war aber die Fußball-Europameisterschaft vor drei Jahren“, sagt Hammer. Damals tauchten im ZDF immer wieder Linien im Bild auf, an denen der Abstand des Freistoßpunktes zum Tor beschriftet wurde. Oder die deutlich die Abseitsstellung des Stürmers markierten. „Die Linien werden mit Hilfe von speziellen Kameras und Computern errechnet und ins Live-Bild eingespielt“, erklärt der Regisseur. Auf seinem Schreibtisch stapeln sich die Unterlagen, „alles verschiedene virtuelle Techniken“, sagt er und zählt auf, was möglich ist im modernen Sporttrickfernsehen: Bahnenfärbung beim Schwimmen sowie Einblendung des Weltrekords als mitschwimmende Linie, simultane Bewegungsabläufe beim Skifahren, Skispringen und in der Leichtathletik, ein Turmspringer oder eine Eiskunstläuferin in der Daumenkino-Version, Kennzeichnung von Kugelstoßweiten und von Speerflugbahnen. Und so weiter.

„Die ARD hat sogar bei den diesjährigen Leichtathletik-Weltmeisterschaften eine Telefonzelle unter der Hochsprunglatte eingeblendet, damit sich der Zuschauer ein Bild von der übersprungenen Höhe machen kann“, erzählt Hammer. Geschmacksache sei das, meint er weiter, für ihn sei es wichtig, dass Aufwand und Nutzen in einem gesunden Verhältnis stehen. „Weniger ist manchmal mehr, man darf das Bild auch nicht mit Informationen überfrachten.“ „Technizistischer Schnickschnack“, urteilte die Frankfurter Rundschau, den Zuschauer allerdings scheint es zu gefallen: „Wir bekommen durchweg positive Reaktionen“, sagt der Regisseur.

Das ist den Fernsehanstalten auch zu wünschen, denn der Spaß ist teuer. Jan Heilfort von der Leipziger Firma Wige Data, die ZDF, ARD und andere Sender mit elektronischen Sportsystemen ausrüstet, wollte zwar nicht sagen, was zum Beispiel die virtuellen Zugaben bei der gestrigen Übertragung des DFB-Pokalspiels Mönchengladbach gegen Dortmund gekostet haben. Achim Hammer hingegen nennt rund 7.000 Euro pro Fußballspiel. Schon allein wegen der hohen Kosten würden vermutlich neue Erfindungen nur sehr zögerlich verwendet. Wie etwa den Kniff, ein Foul aus allen Perspektiven zeigen zu können, der momentan nur in den USA beim Football zum Einsatz kommt. „Das ist extrem aufwändig und scheitert am Geld“, erklärt Hammer.

Was vielleicht und bei aller Begeisterung für fortschrittliche TV-Techniken auch ganz okay ist. Schließlich hat nicht jeder Zuschauer Trainerambitionen und will wissen, ob der Freistoß aus 39 oder 41 Meter Entfernung ausgeführt wird oder ob Weltmeister Dwight Phillips bei seinem Weitsprung in die Grube ein bisschen zu viel Rückenlage hatte. Lustig wäre es aber, wenn man die virtuellen Sporttechniken so weiterentwickeln könnte, dass das Einzige, was noch echt ist, auch irgendwann künstlich eingeblendet wird: die Athleten. Zusätzlich zum elektronischen Getrickse könnte man endlich die Sportler per Joystick von zu Hause aus bedienen. Wie in einem Computerspiel. Und die Fußball-Nationalmannschaft würde nie wieder verlieren.