Idiotische Wirtschaftsweise

betr.: „Innovationen gibt’s nicht ohne Pannen“ (Maut-Chaos), taz vom 24. 10. 03

Der Kommentar von Matthias Urbach macht deutlich, dass es inzwischen kein Bewusstsein mehr für so was wie „gute Ingenieursarbeit“ gibt. Man hat sich dran gewöhnt, an die „Pannen“. Schon seit rund 15 Jahren wird es immer schwieriger, gegen die „schnell schnell“-Ökonomie, die nur Geld als Maßstab kennt, sowas wie „Gebrauchswert“ durchzusetzen – ein altes Ingenieurproblem. In der Industrie wird immer weniger gründlich geforscht, F+E-Projekte müssen schon nach einem halben Jahr Profit abwerfen, sonst werden sie abgebrochen.

Diese Huddeleien wären nicht so schlimm, wenn es da nicht auch noch die Umweltprobleme gäbe (z. B. wohin mit den exponentiell wachsenden Mengen an giftigem Elektronikschrott?) und natürlich die Unfälle (exemplarisch die Sache mit den ICE-Radreifen oder den Space-Shuttles: Gegen jede klassische Sicherheitsphilosophie, unter Inkaufnahme von Menschenleben). Es muss nur schnell gehen, damit man im Rattenrennen um die höchste Rendite mithalten kann, den Schaden hat dann die Gesellschaft, wie auch bei Toll Collect.

Wir erfinden seit 150 Jahren ständig mehr Zeit sparende Maschinen und haben als Folge paradoxerweise immer weniger Zeit. Die Hektik wächst, die damit zusammenhängenden Krankheiten brauchen immer mehr ärztlichen, chemischen und maschinellen Aufwand, die elektronischen Systeme werden immer unberechenbarer. Und: Für das Leben und die Grundbedürfnisse der Menschen wichtige Innovationen bleiben aus, wenn keine Kaufkraft dahinter steht – die Medikamente gegen Tropenkrankheiten z. B. sind auf dem Entwicklungsstand von 1937, aber in Mittelchen gegen Fettleibigkeit wird kräftig investiert.

Im Übrigen bräuchte man den ganzen Mautzirkus nicht, wenn wir vernünftig und regional produzieren würden und nicht ständig unsinnige Transporte generieren würden (die „rollende Lagerhaltung“ auf den Autobahnen, Kartoffeln oder Nordseekrabben nach Polen zum Schälen wegen ein paar Cent Kostenersparnis etc. etc.). Notwendige Transporte könnte man z. B. mit intelligenten Schiene-Straße-Kombinationen längst ökologisch sinnvoll bewältigen. Stattdessen stecken wir unendlich viel Einfallsreichtum in die Bewältigung von Problemen, die wir selbst erst durch unsere idiotische Wirtschaftsweise erzeugt haben, und in Spielereien jeder Art. WOLFGANG NEEF, Diplom-Ingenieur, Berlin