Serbiens Gewerkschaften proben den Aufstand

Proteste für Neuwahlen und ein Ende der Privatisierung. Korruptionsaffäre könnte Innenminister zu Fall bringen

BELGRAD taz ■ Seit der Wende vor drei Jahren war es der Albtraum der demokratischen serbischen Reformregierung, die seinerzeit ein Volksaufstand an die Macht gebracht hatte: Spezialeinheiten der Polizei in voller Kampfausrüstung, mit Schlagstöcken und Helmen werden gegen Demonstranten eingesetzt, die gegen die Regierung protestieren.

Der Albtraum ist gestern wahr geworden. Die gleichen Polizisten, die Demonstrationen gegen Slobodan Milošević niedergeschlagen hatten, beschützten die Abgeordneten im Parlament, die vor drei Jahren die Kundgebungen gegen das absolutistische Regime angeführt hatten. Zum Protest hat der „Bund Selbstständiger Gewerkschaften“ (SSSS) aufgerufen. Die Arbeiter fordern vorgezogene Wahlen und die „Einstellung der Privatisierung“.

Die gesetzte Frist ist der 1. November, dann sollen ein Generalstreik beginnen und alle Straßen in Serbien blockiert werden, drohte Gewerkschaftschef, Milenko Smiljanić. Er behauptet, die SSSS habe 700.000 Mitglieder. Bis dahin wolle man im Zentrum Belgrads ausharren, eine „Stadt der Hungrigen“ errichten und sich nicht von der Stelle rühren, bis die Regierung nachgibt.

Soziale Forderungen im wirtschaftlich ruinierten Serbien – die Arbeitslosigkeit liegt bei rund fünfzig Prozent – vermischen sich mit politischen Ansprüchen. Milošević’ Splitterparteien und die erstarkenden nationalitischen Kräfte reiben sich die Hände. Die Regierungsparteien und einige kleinere Gewerkschaften beschuldigten Smiljanić, im Auftrag der Opposition zu handeln. Er sei „ein Mann Milošević’“ gewesen. Smiljanić warf der Regierung endlose Korruptionsaffären vor, denen ein Ende gesetzt werden müsse.

Tatsächlich erschüttern Korruptionsskandale die Regierung am laufenden Band. Vier Minister sind zurückgetreten oder abgelöst worden. Die Posten für Energiewirtschaft, Gesundheit und lokale Selbstverwaltung sind vakant. Die Verkehrsministerin soll in Kürze ebenfalls wegen Korruption abgesetzt weden.

Auch Innenminister Dusan Mihajlović solle wegen Korruption aus der Regierung „katapultiert“ werden, verkündete der ehemalige Notenbankgouverneur und Vizepräsident der Oppositionspartei „G 17“, Mladjen Dinkić. Mihajlović soll dreizehn Firmen besitzen, die das Innenministerium, die Polizeiakademie und Armee mit Produkten und Dienstleistungen versorgen. Der Innenminister hätte schamlos sein Amt missbraucht und seinen Firmen Aufträge in Millionenhöhe verschafft, erklärte Dinkić. Mihajlović’ Firma Lutra und ihre zwölf Tochterunternehmen würden sich mit Ex- und Import, Viehzucht, Computerausrüstungen, Marketing und sogar Gastwirtschaft beschäftigen. Allein die Firma Arijus hätte für die Installation der für das Innenministerium für dreizehn Millionen Euro gekauften IBM Ausrüstung und die Ausbildung der Beamten 2,5 Millionen Euro aus dem Budget kassiert. Mihajlović wies alle Vorwürfe zurück. Er beschuldigte Dinkić, ihn im Auftrag der Mafia anzugreifen, und bezeichnete sich als „Blitzableiter“, der zwischen dem organisierten Verbrechen und den demokratischen Kräften stehe. Der Inneminister – einst Mitläufer von Slobodan Milošević – überlebte politisch die Attentate auf Premier Zoran Djindjić und den Chef der Belgrader Polizei.

Unterdessen besuchte gestern erstmals seit achtzehn Jahren ein deutscher Bundeskanzler Belgrad. Gerhard Schröder will die „partnerschaftlichen Beziehungen mit Serbien und Montenegro festigen“ und fliegt morgen nach Zagreb. ANDREJ IVANJI