Kein Mensch verlässt das Labor!

Die Justizministerin kann im Grundgesetz kein absolutes Verbot der Embryonenforschung erkennen. Der Labor-Embryo habe noch keine Menschenwürde

Der Gesetzgeber sollte prüfen, „ob eine Lockerung des Stammzellengesetzes erforderlich ist“, so Zypries

von CHRISTIAN RATH

Es war eine ihrer bisher wichtigsten Reden. Gestern forderte Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) mehr Freiheit für den Gesetzgeber in bioethischen Fragen. Politische Diskussionen sollten nicht durch vermeintliche Verfassungsvorgaben abgewürgt werden, so Zypries in der Berliner Humboldt-Universität. Die Ministerin wies laut Redemanuskript dabei die Vorstellung zurück, dass schon der Embryo im Reagenzglas Menschenwürde besitze. Eine Lockerung bisheriger Forschungsbeschränkungen sei deshalb möglich. Bundestag und Bundesregierung sollten dies „prüfen“.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es im Grundgesetz in Artikel eins. Die Menschenwürde ist das wichtigste Grundrecht, sie darf nicht relativiert werden und kann auch kaum mit anderen Grundrechten abgewogen werden. Deshalb ist die Frage, ob der Embryo sofort nach Verschmelzung von Ei und Samenzelle Menschenwürde besitzt, von hoher praktischer Bedeutung. Sie entscheidet, ob an Laborembryonen geforscht werden darf oder nicht.

Das Bundesverfassungsgericht hat zwar Sympathie für die Idee der „Menschenwürde von Anfang an“ geäußert, musste die Frage aber bisher nicht entscheiden. Abtreibungen finden ja erst zu einem späteren Zeitpunkt, nach der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter, statt. Zypries plädiert nun dafür, der befruchteten Eizelle in der Petrischale noch keine Menschenwürde zuzusprechen. Zur Menschenwürde gehöre der „Respekt vor dem Eigenwert jeder Person und jeder individuellen Existenz“. Der im Labor erzeugte Embryo habe „lediglich die Perspektive, das auszubilden“ – wenn er von einer Frau ausgetragen werde.

Die Ministerin will den Embryo nun aber nicht ohne jeden Schutz der Verfassung lassen. Die befruchtete Eizelle sei „kein beliebiger Zellhaufen, über den Eltern, Mediziner und Forscher nach Gutdünken verfügen können“, so Zpyries. Auch der Embryo im Labor sei menschliches Leben und vom Grundrecht geschützt. Allerdings, darauf weist Zypries ausdrücklich hin, kann in das Grundrecht auf Leben durchaus eingegriffen werden, und es ist auch der Abwägung mit anderen Verfassungswerten zugänglich. Gemeint ist hier das Recht der Eltern, über ihre Fortpflanzung zu entscheiden, sowie die Forschungsfreiheit von Wissenschaftlern.

Diese „komplexe“ Abwägung zwischen den Rechten des Embryos und denen von Eltern und Forschern soll nach Zypries’ Konzeption künftig der Bundestag vornehmen. Auch in der Vergangenheit habe das Parlament solche Entscheidungen „mit großer Ernsthaftigkeit und Umsicht“ getroffen, etwa bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs. Künftig müssten die Chancen und Risiken der Biomedizin „für jedes Gebiet gesondert“ abgewogen werden.

Diese verfassungsrechtlichen Ausführungen sind der Kern von Zypries’ Rede. Im zweiten Teil geht sie dann beispielhaft einzelne Themenfelder durch und schlägt mehr oder weniger konkrete Lösungen vor. Am weitesten wagt sie sich dabei bei der Embryonenforschung vor, wo sie die bisherige restriktive Rechtslage offen in Frage stellt.

Nach dem Embryonenschutzgesetz von 1990 dürfen Embryonen nicht zu Forschungszwecken erzeugt werden. Um dennoch im Rahmen der Grundlagenforschung prüfen zu können, wie notwendig die Arbeit an Embryonen ist, wurde im Juni 2002 das Stammzellengesetz geschaffen. Es erlaubt die Einfuhr von Stammzellen, die im Ausland aus überzähligen Embryonen gewonnen wurden. Um keinen Anreiz für die Vernichtung weiterer Embryonen zu bieten, erlaubt das Gesetz allerdings nur die Einfuhr von Stammzelllinien, die vor dem 1. 1. 2002 angelegt wurden. Zypries fragt nun, ob die damit zur Verfügung stehenden Stammzellen „für die aktuelle Grundlagenforschung ausreichend“ sind. Regierung und Gesetzgeber werden prüfen, so die Ankündigung, „ob eine Lockerung des Stammzellengesetzes erforderlich ist“.

Eine restriktive Linie vertrat Zypries dagegen bei der Präimplantationsdiagnostik (PID), die weiter verboten bleiben soll. Bei der PID werden künstlich befruchtete Embryonen vor dem Transfer in die Frau auf genetische Schäden untersucht, sodass nur gesunde Embryonen eingepflanzt werden. Teile des nationalen Ethikrates fordern eine Zulassung der PID auch in Deutschland.

Zypries lehnte dies gestern aber ab. Ärzte sollten nicht darüber entscheiden, „welches menschliche Leben sich fortentwickeln darf“. Es könne auch die Einstellung zu Behinderten verändern, wenn bestimmte Embryonen künftig als „aussonderungswürdig“ angesehen werden dürfen.