Angst und Neugier in Kalk

Neonazis aus ganz Deutschland wollen am Samstag in Kalk aufmarschieren. Die Stimmung im Viertel ist angespannt. Gegendemonstranten wollen friedlich stören

KÖLN taz ■ Noch scheint die Stimmung in Köln-Kalk entspannt. Die Straßen sind belebt, Passanten lassen sich von der Sonne wärmen. Isabella Elze jedoch, die zusammen mit ihrem Mann an der U-Bahnstation Kalk-Post einen Kiosk betreibt, hat Angst. „Am Samstag werden wir zumachen, weil die uns hier sonst vielleicht die Scheibe einschmeißen“, sagt sie. Ihr Ladennachbar Kasim Bulut hingegen, Miteigentümer eines Obst- und Gemüsegeschäfts, gibt sich unbesorgt: „Vor vier Jahren kamen auch nur zehn bis fünfzehn Leute.“ Und die seien von einer haushohen Überzahl von Polizisten umzingelt gewesen.

Der Neonazi-Aufmarsch am kommenden Samstag wird deutlich größer sein. Die Anmeldung zur Demonstration sieht 200 Personen vor. Unter dem perfiden Motto „180 Nationalitäten in Köln sind 179 Nationalitäten zu viel“ wollen Rechtsextreme aus ganz Deutschland um 12 Uhr an der U-Bahn-Station Kalk-Post starten und von dort durch Wohngebiete marschieren. Die Route führt durch die Kalk-Mülheimer Straße und von dort in Richtung Kalk-Kapelle zum Bezirksrathaus.

An der U-Bahn-Station Kalk-Kapelle beginnt bereits um 10 Uhr eine Gegendemonstration. „Erklärtes Ziel ist, den Aufmarsch der Nazis mit friedlichen Mitteln zu verhindern“, sagt Organisator Claus Ludwig vom Wahlbündnis „gemeinsam gegen sozialraub“. Ludwig hofft, dass auch AnwohnerInnen ihren Unmut gegenüber den Nazis kundtun werden.

Eine klare Ansage steht an eine Wand gesprayt: „Dreckig aber Nazifrei. Naziaufmarsch am 16.10.04 in Kalk stoppen!“ Gegen die Nazis auf die Straße gehen will jedoch kaum ein Anwohner. Die meisten Geschäftsleute lassen ihre Läden geöffnet. Die Sorge um den Verlust der Einnahmen eines Tages ist größer als die Angst vor Randalierern. „Ich habe gar keine Angst“, sagt Hanni Werner „das ist ja das Schlimme!“ Deshalb werde sie ihren Lotto- und Tabakladen in der Kalk-Mülheimer Straße geöffnet lassen. Nachdenklich wird sie dann aber doch. „Es muss nur einer anfangen, dann explodiert das ganze“, sagt die 54-jährige. Das Leuchten der blauen Augen in ihrem Gesicht verblasst ein wenig, während sie spricht. „Alle haben Angst. Ich habe das Gefühl, dass ganz Kalk unruhig ist.“

Auch der Friseurladen, in dem der junge Sinan Akdemir arbeitet, wird am Samstag geöffnet sein. Gegen die Nazis demonstrieren gehen will er aber nicht. „Da kann man eh nichts machen.“ Akdemir will höchstens mal gucken gehen, wenn die Neonazis vorbeiziehen.

Zuschauen will auch Helga Breuer, Inhaberin eines Frisier- und Sonnenstudios in der Steprathstraße. Zusammen mit drei Freundinnen genießt sie das gute Wetter auf dem Großspielplatz am Markt. Die Frauen klönen, während ihre Kinder spielen. Sie habe von türkischen Angestellten gehört, die sich weigern, am Samstag zur Arbeit zu kommen, erzählt eine ihrer Bekannten. 500 Polizisten seien angefordert worden, hat eine andere gehört. Angst haben die Frauen nicht, aber wenn sie am Samstag kommen, wollen sie ihre Kinder zu Hause lassen.

Claus Ludwig bezweifelt indes, dass die Marschroute der Neonazis für Passanten erreichbar sein wird. „Immigranten oder Alternative dürften kaum die Möglichkeit haben, dicht an die Marschierer ran zu kommen“, sagt Ludwig.

Die Gegendemonstration linker Gruppierungen ist auf die Kalker Hauptstraße beschränkt. Auf der Kundgebung am Treffpunkt Kalk-Kapelle sprechen neben Ludwig unter anderem Vertreter von „Köln stellt sich quer“, „Naturfreunde“ sowie dem DGB und ver.di. Die Polizei habe zugesichert, dass sie niemanden an der Anreise hindern wird, absolute „no-go-area“ wird jedoch die Gegend um die S-Bahnstation Trimbornstraße sein. Hier wird laut Ludwig die Sonderbahn eintreffen, die die Nazis vom Hauptbahnhof nach Kalk transportiert. Sandra Pingel