Schuldgefühle dauern ein Leben lang

Zu einer Haftstrafe auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung wurde gestern vor dem Amtsgericht Barmbek ein Mann verurteilt. Beim Spielen ließ er seinen Sohn fallen. Der Versuch, ihn durch Schütteln zu Bewusstsein zu bringen, führte zum Tod

Von Jennifer Neufend

„Hier ist eine Strafe offensichtlich verfehlt“, meinte Rechtsanwalt Ulf Dreckmann in seinem Pladoyer vor dem Amtsgericht Barmbek. Er vertrat gestern einen 36-jährigen Lehramtsstudenten, der wegen der fahrlässigen Tötung seines drei Monate alten Säuglings vor Gericht stand. Zu Beginn der Verhandlung gab Dreckmann eine Erklärung für seinen Mandanten ab, in der dieser seine volle Schuld einräumt. Mit dieser Schuld sei er lebenslänglich behaftet.

Im Oktober vergangenen Jahres spielt der Vater mit seinem Sohn, wobei er ihn hochwarf. Dabei entglitt ihm der Säugling und fiel aus zwei Metern Höhe auf den Zimmerboden. In Panik schüttelte der Vater dann das Kind, um es wieder zu Bewusstsein zu bringen. Nach Aussage des sachverständigen Mediziners habe erst dieses Schütteln zu der lebensgefährlichen Verletzung geführt. Nachdem das Kind im Krankenhaus Eppendorf notoperiert und danach künstlich am Leben gehalten wurde, verstarb es rund zwei Wochen später am 21. Oktober 2003.

Sein Sohn habe das Spielen und Hochwerfen schön gefunden, sagte der Angeklagte rückblickend: „Er hat fröhlich gebrabbelt.“ Als das Kind dann auf den Boden gestürzt sei, habe er Panik bekommen und es geschüttelt, so der 36-Jährige. Für Amtsrichterin Barbara Valentin war juristisch gesehen der Sturz der erste Schritt: Wäre der Sohn nicht gefallen, hätte der Vater ihn nicht geschüttelt.

„So eine furchtbare Sache“, sagte Valentin, „habe ich noch nicht erlebt.“ Entgegen der von der Staatsanwältin geforderten Strafe in Höhe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilte sie den jungen Mann wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Diese wird nicht mit Auflagen versehen, denn das Gericht geht nicht davon aus, dass der Angeklagte erneut eine Straftat begehen wird.

Die Richterin begründete ihr hartes Urteil damit, dass der Angeklagte sich bewusst der Gefahr verschlossen habe. „Es ist Allgemeinwissen, dass man ein dreimonatiges Kind nicht hochwerfen darf“, stellte sie fest. Dabei habe sie aber nie angenommen, der Beklagte habe vorsätzlich gehandelt.

„Hier ist sehr, sehr deutlich eine Freiheitsstrafe anzusetzen“, entgegnete Valentin auf die Forderung des Verteidigers, keine Strafe auszusprechen: „Das Gesetz sieht von einer Strafe ab“, so Rechtsanwalt Dreckmann, „wenn die Folgen so schwer für den Täter sind, dass eine Strafe offensichtlich verfehlt ist.“ Eine Strafe werde exemplarisch verhängt, um Recht und Ordnung aufzuzeigen. Außerdem hätte die Gesellschaft ein Strafbedürfnis, das durch den Staat befriedigt werde. In diesem Fall sei der junge Mann aber bereits lebenslänglich bestraft, die Funktion einer Strafe könne nicht greifen. Eine sechsmonatige Freiheitsstrafe, wie von der Staatsanwaltschaft gefordert, sei „lächerlich“.

Auch wenn Valentin dieser Ansicht nicht folgte, drückte sie in ihrem Urteil ihr vollstes Mitgefühl für den 36-Jährigen und seine Frau aus. „Allerdings muss ich von einem Elternteil erwarten können, dass er Gefahren für das Kind einschätzen kann.“ Das Kind selbst könne das nicht. Sie wolle mit diesem Urteil auch ein Zeichen an andere Eltern geben, sagte Valentin: „So dürfen Eltern mit ihrem Kind nicht umgehen.“