„Die Diskriminierung ist subtil“

Sinti und Roma leben seit dem Mittelalter in Deutschland. Zwar gibt es viele Zigeunerklischees, doch ist beinahe nichts über ihre Kultur bekannt. Antje Hofert, die in Berlin mit jugendlichen Roma und Sinti arbeitet, zu den Gründen

taz: Wie kommt es, dass ein Volk, das seit 600 Jahren in Deutschland beheimatet ist, so wenig integriert ist?

Antje Hofert: Man hat sie nicht gelassen. Sie wurden sozial an den Rand gedrängt. Im Dritten Reich und Jahrhunderte zuvor wurden sie verfolgt. Den Kindern wurde der Zutritt zur Schule verboten, damit waren sie von der schulischen Ausbildung ausgeschlossen. Später wurden ganze Familienverbände in Lager gebracht. Denken Sie an das Zigeunerlager Marzahn, wohin Sinti-Familien aus ganz Berlin deportiert wurden. Die, die überlebten, wurden in der Bundesrepublik noch nicht einmal angemessen entschädigt. Heute noch werden viele von ihnen nicht als deutsche Staatsbürger akzeptiert. In ihren Pässen steht dann unter Staatsbürgerschaft: keine.

Sie klauen, haben Läuse und sind ungewaschen. Das sind die hartnäckigsten Vorurteile gegenüber Sinti und Roma. Sind die noch aktuell?

Auf jeden Fall. Bei meiner Arbeit mit in Deutschland lebenden Sinti- und Roma-Jugendlichen sind es tatsächlich diese Bilder, die ihnen den Alltag so schwer machen. Wenn geklaut wurde in der Klasse, kriegt als Erstes „der Zigeuner“ Dresche. Oder junge Sinti- und Roma-Mädchen. Sie tragen schon früh Verantwortung im Haushalt, da sie auf die jüngeren Geschwister aufpassen und den Eltern und Großeltern zur Hand gehen müssen. Deswegen fehlen sie manchmal im Unterricht. Die Lehrer gehen aber meist nicht auf diese andere Kultur der Wertschätzung der Familie ein. Sie ignorieren sie oftmals.

Ist Ignoranz die moderne Form der Ausgrenzung?

Ja, meistens ist die Diskriminierung dieser so genannten nationalen ethnischen Minderheit sehr subtil. Indem sie etwa als minderbemittelte Randgruppe stigmatisiert wird und die Menschen nicht als Individuen betrachtet werden. Problematisch ist es vor allem in der Schule.

Nationale ethnische Minderheit, so heißt dieses Volk vor dem Gesetz. Was bedeutet das in der bürgerschaftlichen Praxis?

Eigentlich soll es Sinti und Roma erleichtern, mit Hilfe staatlicher Mittel ihre Sprache und Kultur zu bewahren und ihre partizipativen Interessen in der Gesellschaft durchzusetzen. Die einzige Möglichkeit, das Romanes, wie die Sprache beider Volksstämme heißt, den zukünftigen Generationen zu erhalten, wäre aber, es in den Schulen zu unterrichten. Dies geschieht nicht, weil Romanes nach Meinung der Verantwortlichen keine Schriftsprache ist. Es gibt jedoch außerschulische Angebote dazu. Was die Sprache unter anderem so wertvoll macht, sind die vielen Dialekte, die je nach Region über einen völlig anderen Wortschatz verfügen. Was bei den aus Bulgarien kommenden Roma tavla, also Türkisch für Tisch, heißt, heißt bei den anderen sinja, also das rumänische Wort.

Sind in Deutschland lebende Sinti und Roma religiös?

Oft sogar sehr. Roma, genau wie Sinti, nehmen zumeist die Religion des Landes an, in dem sie leben. Zu ihrem Glauben gehören manchmal aber auch Magie und Traditionelles. So gibt es zum Beispiel ein Fest, das auch die Berliner Roma am 6. Mai feiern. Das ist der Sankt-Georgs-Tag. Schwimmende Lichter werden in einen Fluss gesetzt, vielleicht um die Wünsche und Hoffnungen fortzutragen. Ich weiß es nicht genau. Viele Roma steigen in den Fluss, vielleicht um sich symbolisch vom Staub des Winters zu reinigen.

INTERVIEW: LENA v. SEGGERN