„Eigene Vorschläge“

Spaß an Selbstironie: Das Lichtmeß zeigt heute Teile des filmischen Werks von „Die Tödliche Doris“

von JAN MÖLLER

1990 wurde im Kunstverein Bremerhaven eine Ausstellung mit Objekten der Westberliner Künstlergruppe Die Tödliche Doris arrangiert. Die Einladungskarte war mit der Adresse eben jenes Kunstvereins versehen, außerdem mit drei Feldern, in die potenzielle Besucher Kreuzchen machen konnten: Neben dem ersten Feld stand „Ich interessiere mich für diese Ausstellung“, neben dem zweiten „Ich interessiere mich nicht für diese Ausstellung“, neben dem dritten „Eigene Vorschläge“.

So sinnlos diese Einladung auf den ersten Blick erscheinen mag, so sehr fasst sie doch vieles von dem zusammen, was Die Tödliche Doris zeit ihres siebenjährigen Lebens ausmachte: Da ist zum Beispiel der Spaß an der Selbstironie und mithin das Einbeziehen der eigenen Rezeption; und stets schimmerte bei der Gruppe auch der Wille durch, sich klar definierbaren Kontexten zu entziehen.

Gegründet wurde Die Tödliche Doris vor 23 Jahren von Wolfgang Müller und dem 1996 in Folge von Aids verstorbenen Nikolaus Utermöhlen. Fortan pendelte sie in wechselnden Besetzungen zwischen den Stilen und Genres. Ihr künstlerisches Zuhause war überall und nirgendwo. Mal widmete sich Doris der Malerei, mal der Fotografie, meist der Musik, häufig allem zusammen. Die Ästhetik ähnelte der des Punk, es ging um das Rohe, das Drängende, das Agieren; aber auch um strategisches Kalkül, darum, die Erwartungen an eine wie auch immer geartete Avantgarde zu erfüllen und sie gleichzeitig der Lächerlichkeit preiszugeben.

So initiierte die Gruppe eine Ausstellung für Hunde und Katzen in einer Berliner Tierarztpraxis, veröffentlichte eine unsichtbare Schallplatte, die nur hören konnte, wer die beiden vorausgegangenen Platten gleichzeitig abspielte. Als sich Die Tödliche Doris 1987 auflöste, indem sie sich öffentlich in einen italienischen Wein verwandelte, galt sie vielen längst als die genialste Vertreterin der so genannten „Genialen Dilletanten“ (sic!).

Dem rührigen Berliner Verlag Martin Schmitz ist es zu verdanken, dass all dies auch in Büchern dokumentiert ist. Der gerade erschienene vierte Band einer Reihe über Die Tödliche Doris befasst sich mit deren filmischem Schaffen: 38 Arbeiten, die unlängst komplett digitalisiert wurden und nun immer mal wieder – wie heute anlässlich der Buchpräsentation im Lichtmeß – in kompakter Form der Nachwelt präsentiert werden.

Am bekanntesten ist wohl der verstörende Super-8-Film Das Leben des Sid Vicious, entstanden unmittelbar nach dem Tod des Sex-Pistols-Sängers. Der zweieinhalbjährige Hauptdarsteller Oskar, Sohn der damaligen Doris-Schlagzeugerin Dagmar Dimitroff, läuft darin wie einst Vicious im Hakenkreuz-T-Shirt durch die Straßen und ersticht am Ende seine Freundin, verkörpert von der siebenjährigen Angie, mit einem Gummimesser.

Es gibt aber auch Filme, in denen es weitaus weniger spektakulär zugeht. Das knapp halbstündige Werk Tapete etwa: Gefilmt wurden ausschließlich die Seiten eines jener Tapeten-Musterkataloge, deren Seiten eben aus unterschiedlichen Tapeten bestehen. Das kann man großartig finden oder auch einschläfernd. Auf jeden Fall brillant ist aber der Kommentar von Wolfgang Müller: „Tapete beschreibt Grundsätzliches des Genres ‚Film‘ als Film. Der Film Tapete funktioniert wie eine Tapete. Er bedeckt die einzige weiße Fläche im Kino mit bewegten Bildern.“

„Die Dinge wirken viel irritierender“, hat Müller mal gesagt, „wenn man sie nicht verschleiert.“ Das Geheimnis der Tödlichen Doris ist, dass sie es mit diesem Prinzip nicht nur auf ihr Publikum abgesehen hatte. Ihre Idee war es, sich immer wieder selbst zu überraschen und auf diese Weise den Realitätsbegriff ins Wanken zu bringen. Nicht die schlechteste Voraussetzung für einen lustigen Abend mit schwer konsumierbarer Unterhaltung.

heute, 20.30 Uhr, Lichtmeß, inklusive Buchpräsentation mit Martin Schmitz