Von Anfang bis Ende rechtswidrig

Verwaltungsgericht verurteilt die gewaltsame nächtliche Abschiebung der türkischen Familie Yilmaz durch ein polizeiliches Rollkommando. Behörde verletzte durch Täuschung rechtsstaatliche Grundsätze und Verhältnismäßigkeit

von KAI VON APPEN

Hamburgs Ausländerbehörde ist vor Gericht abgewatscht worden: Die nächtliche gewaltsame Abschiebung der siebenköpfigen Familie Yilmaz durch ein polizeiliches Rollkommando im Oktober 2002 war von Anfang bis Ende rechtswidrig. Das hat die Kammer 11 des Verwaltungsgerichts Hamburg festgestellt. „Es ist extra eine mündliche Verhandlung in voller Kammerbesetzung durchgeführt worden“, berichtet Anwalt Mark Nerlinger. „Das Urteil spricht eine deutliche Sprache.“

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt. Saban Yilmaz hatte zehn Jahre lang in Deutschland gelebt, nach der Scheidung von seiner deutschen Frau eine Türkin geheiratet. Mit ihr hatte er fünf Kinder, er selbst hatte einen festen Job. Die Ausländerbehörde betrieb dennoch die Abschiebung der Familie. Noch am 22. Oktober – am Abend tagte der Petitionsausschuss der Bürgerschaft zu dem Fall – erteilte die Ausländerbehörde der Familie eine Duldung bis Mitte November. Doch in der Nacht zum 23. Oktober gegen 1.40 Uhr tauchten die staatlichen Abschieber in Begleitung von 17 uniformierten Polizisten auf, übergaben einen schriftlichen Duldungswiderruf, sackten die Familie ein und brachten sie noch in den Morgenstunden zum Abschiebeflieger Richtung Türkei auf den Flughafen Fuhlsbüttel.

„Die zwangsweise Abschiebung war rechtswidrig“, urteilen die VerwaltungsrichterInnen. „Den Abschiebungen in den frühen Morgenstunden des 23. Oktober standen die am Vortag erteilten bis zum 19. November befristeten Duldungen gegenüber.“ Durch die Nachtzeit sei der Familie zudem keine Zeit verblieben, „effektiven Rechtsschutz gegen den Vollzug der Abschiebung, etwa durch die Konsultation eines Anwaltes, zu erlangen“. Das sei durch die Täuschung auch gewollt gewesen, so die Richter. Doch die Ausländerbehörde habe „kein Recht“ – auch wenn die Gefahr bestehe, dass sich jemand der Abschiebung widersetze –, „rechtsstaatliche Grundsätze“ zu missachten.

Aber nicht nur die Maßnahme als solche, sondern auch die Form der Abschiebung löst deutliche Richterschelte aus. „Die überfallartige Vorgehensweise nahm die Gestalt einer Großrazzia an“, rügen die Richter, bei Beobachtern sei der Eindruck erweckt worden, es handele sich um Kriminelle. „Diese diskriminierende Vorgehensweise“ habe das Ansehen der Familie bei Bekannten und ihren Nachbarn nachhaltig beeinträchtigt, so dass die Familie jetzt „in einem äußerst schlechten Licht erscheint“ und einen Anspruch auf Rehabilitation habe. Auch vor ihren eigenen Kindern, die aus dem Schlaf gerissen wurden, seien die Eltern durch den Polizeiaufmarsch bloßgestellt worden. Aus vorgelegten Attesten ergebe sich, dass die Kinder noch heute in der Türkei „unter dem Vorgang dauerhaft psychisch leiden und psychopharmakologisch behandelt werden“.

Für das Gericht verstießen die konkreten Umstände der Abschiebung gegen den „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“. Einer Familie, die mehrere Jahre in der Bundesrepublik gelebt hat, müsse genügend Zeit eingeräumt werden, ihre Privatangelegenheiten zu regeln und Vorbereitungen zur geordneten Ausreise zu treffen – „wie Aufgabe der Wohnung, Unterbringung des Mobiliars, Abmeldung der Kinder aus Schule und Kindergarten oder Kündigung von Konten“.