Jukebox

Endlich einmal so. Das gelassene Jahrtausend

So viel ist schon mal klar, meine Damen und Herren, dass das neue Jahrtausend versagt hat. Bis dato. Wir schreiben Freitag, den 31. Oktober im Jahre des Herrn Zweitausenddrei, und weiter ist nichts zu hören. Pst! Nein, nichts. Nichts Neues. Dabei soll doch nach der guten alten Regel immer im Dezenniumsschritt Umwälzendes passieren, das die Hitparaden frisch ventiliert. Zählen wir die Einschnitte noch einmal an den Fingern ab: Zuerst war da der Rock ’n’ Roll, in den Fünfzigern, der vom Beat zur Seite gedrängelt wurde. Am Anfang der Siebziger bekam man auch schon mal kurz die Panik und einigte sich dann mit gutem Gewissen auf Reggae als das neue Ding, überhaupt öffnete man sich der Welt. Punk quengelte und kam bereits vor dem kalendarisch festgesetzten Termin, aber mit der Ausweitung durch New Wave in den Achtzigern hatte alles wieder seine Ordnung. Die Neunziger: Techno. Ganz was Neues. Das neue Jahrtausend? Eben! Nichts. Dabei hat man jetzt wirklich lang genug gewartet auf den neuen Trendheiland. Statt nach Visionen aber sucht man lieber nach den Superstars, in den Plattenläden darf man sich seine CDs nach Wunschtiteln zusammenstellen. Vereinzelung, nicht gemeinsam Einigendes. Überhaupt so viel an aufgehäufter Vergangenheit, mit der man erst einmal klarkommen muss. Deswegen wird in einem fort der Rock ’n’ Roll gerettet (dabei ist Chuck Berry, er feierte am 18. Oktober seinen 77. Geburtstag, doch gar nicht tot), stehen die Beatles immer wieder oben in den Hitparaden. Reggae regiert, Wave schwappt frisch und Techno nagelt fröhlich alle viere auf den Boden, und dabei fassen sich alle noch an den Händen. Gut. Vielleicht darf man sich endlich mal auf ein entspanntes Jahrtausend freuen, nicht so ödipal verklemmt, vatermordend. Muss doch nicht alles immer neu sein. Neuererbewegungen neigen sowieso zu den Stahlgewittern, und das muss wirklich nicht mehr sein. THOMAS MAUCH