Der betende Bedenkenträger

Jugend versteht: Der Berliner Sänger Ben heißt mit Nachnamen Blümel, ist katholisch und war sogar Messdiener. In seinen Songs kritisiert er Medienflut, Konsumterror, Überflussgesellschaft. Ein Porträt

von THOMAS WINKLER

Am Tag, als der Fahrradsattel brach, kehrte der Herr in das Leben von Bernhard Matthias Albrecht Lasse Blümel zurück. Fand zu ihm, als er auf der Straße, die Hände gebrochen, das Bein so aufgerissen, dass er drohte zu verbluten. Wie aus dem Nichts erklang ein Martinshorn, erschien ein Krankenwagen und brachte den jungen Herrn Blümel in allerletzter Sekunde in ein Krankenhaus, wo ihm mit irdischer Medizin das Leben gerettet wurde. Aber: Niemand hatte die Ambulanz gerufen, nicht einmal die Fahrer konnten sich erklären, warum die Blaulichtlampe auf dem Wagendach blinkte. „Ein Zeichen Gottes“, glaubt der Gerettete seitdem und legte prompt Zeugnis davon ab in einem leicht verdaulichen Song. Bernhard Blümel verkürzte seinen Namen zum poptauglichen Ben, und „Engel“, der Dank an seinen Schutzengel, wurde zum Hit.

Es war das Frühjahr 2002, als selbiger Schutzengel auch über den Charts schwebte. Seidem präsentiert sich Ben, so auch auf seinem eben erschienenen Album „Leben leben“, als einfühlsamer Bedenkenträger von nebenan. Doch geht es dem Berliner eher um humanistische Handlungsvorgaben als um drängende Missionen, wie sie etwa Xaivier Naidoo vor allem am Anfang seiner Karriere vor sich her trug. Auch die dazugehörige Popmusik macht einen angemessen harmlosen Eindruck. So wurden Ben und fast noch mehr seine Strickmütze, die er bei öffentlichen Auftritten nie ablegt, schnell zur erfolgreichen Marke.

Beim Interviewtermin im beschaulichen Schlachtensee präsentiert sich Bernhard Blümel mit Brille und Dreitageflaum, ohne Strickmütze und vor allem als jemand, den auch seine Religiosität nicht vor Selbstzweifeln schützt: „Manchmal würde ich mir wünschen, dass Xavier Naidoo noch nicht auf dem Markt wäre, denn es ist schwierig, als kleines Popgesicht gegen die Tiefe seiner Musik anzusingen.“ Das erinnert an das zweifelnde Verhältnis des 22-Jährigen zu seinem Schöpfer, wie er es in seinem Lied „Tiefe meiner Tränen“ besingt: „Es fällt mir schwer zu glauben, dass du wirklich da oben bist.“

Bernhard Blümel erzählt, dass er vor seinem Fahrradunfall den Kontakt zu Gott verloren hatte, und das, obwohl er katholisch aufgewachsen ist und sogar einmal Messdiener war. Und auch heute noch, sagt er, merkt man „schon sehr stark, dass ich mich bei weitem noch nicht gefunden habe“. Er hat sich ausgezogen für die Tierrechtsorganisation Peta, wirbt demnächst für Unicef, und eigentlich hat der ehemalige Waldorf-Schüler vor, seinen Lebensunterhalt später einmal als Homöopath zu verdienen. Eine Audienz beim Papst hat er abgelehnt und fühlt sich auch nicht zum Missionar berufen: „Ich bekenne mich dazu, aber es gibt sinnvollere Jobs als Popstar, wenn man für seinen Glauben leben will.“ Vermutlich ist es diese Unsicherheit, „dieses Wollen, mit mir erst mal eins zu sein“, das seinen Erfolg erklärt bei einem Publikum, das vor allem aus minderjährigen Bravo-Leserinnen besteht.

Seinen jugendlichen Hörern steht Ben zur Seite mit einem ganzen Arsenal zielgruppenorientierter Lebenshilfen. Auf „Leben leben“ kritisiert er Medienflut und Big-Brother-TV („Trueman Show“), verteufelt Konsumterror und Überflussgesellschaft („Alles was ich will“), beschreibt die eigene Antriebslosigkeit („Das sind die Tage“) und dichtet trotzige Durchhaltelyrik („Ich steh auf“). Das ist mitunter naiv und nicht immer allzu differenziert, aber: „Ich versuche Inhalte so umzusetzen, dass sie auch Teenager verstehen.“ Uneindeutig wird es erst bei den Liebesliedern, die in altgedienter Soul-Tradition mitunter unklar lassen, ob das beschriebene Gefühl ein weltliches oder spirituelles Sehnen beschreibt. „Ich verstecke meine Beziehung zu Gott hinter einem Liebeslied“, erklärt Ben, „Naidoo dagegen singt einen religiösen Song und die Menschen interpretieren ihn für sich als Liebeslied.“

Trotz solcher Missverständnisse glaubt Ben, dass die neue Religiosität in der deutschen Popmusik, der Erfolg von Naidoo, Glashaus oder Beatbetrieb nicht nur ein kurzlebiger Trend ist: „Die Räucherstäbchenfraktion wird immer größer, die Menschen beschäftigen sich wieder mehr mit sich selber, und da kommt automatisch an irgendeinem Punkt Gott mit ins Spiel.“ Nach dem Scheitern der Spaßgesellschaft, im Angesicht der wirtschaftlichen Krise sehnt sich der Mensch wohl nach jahrhundertelang erprobten Heilsversprechen. Und nach derartig gestrickter Popmusik. So ist Bens Erfolg womöglich ja doch nicht nur ein Zeichen Gottes.

Bernhard Blümel selbst lehnt es ab, den lieben Gott für alles verantwortlich zu machen, erst recht nicht für den weiteren Fortgang seiner Karriere. Die, so glaubt er, steht momentan am Scheideweg: „Popstar oder Sternschnuppe, das wird sich demnächst entscheiden.“ Ob sich Gott da wohl doch noch einmischen wird? Und: Taugt sein Musikgeschmack was?